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Meine Geschichten - Shirly


Shirlys Geschichte ist ziemlich lang  und jetzt auch etwas schwieriger zu lesen, da das kopieren auf die Website die verschiedenen Schriftarten blockiert...
Ich hoffe ihr kommt klar und habt Spaß

Eure Rose

Prolog

 
Sesa taucht so schnell sie kann am dunklen Meeresgrund entlang. Immer wieder sieht sie sich hektisch um. Noch sind ihre Verfolger im trüben Wasser nirgends zu sehen, aber es kann nicht mehr lange dauern, bis sie sie finden.
Halt dich links! befiehlt Atlantia, die in Sesas Körper lebt und nur in Gedanken mit ihr sprechen kann. Sofort schwimmt die Sechzehnjährige weiter nach links, ihre bleiche Haut schimmert im Halbdunkel des Ozeans. Es sieht überall gleich aus, nur eintönige Felsen und Sandhügel, an denen Sesa in der Tiefe vorüberschwimmt.
Wir sind fast da! erklärt Atlantia.
Die junge Hüterin kann kaum noch atmen, das kalte Wasser brennt in ihren Lungen, aber sie versucht krampfhaft, noch schneller zu schwimmen.
Hier ist es! ruft Atlantia erleichtert. Das Mädchen legt die Hände auf den Boden, schließt ihre Augen und lässt die Energie ein Loch in den Boden brennen. Sie kniet sich hin und wirft einen schnellen Blick über die Schulter, aber immer noch ist niemand zu sehen. Ihr ganzer Körper beginnt zu schmerzen, als Atlantia sie verlässt. Ohne einen Kratzer zu hinterlassen kommt das goldene Schneckenhaus aus Sesas Brust und sinkt durchs Wasser in das Loch.
Sesa fühlt, wie ihre Kräfte erlöschen. So schnell sie kann, schaufelt sie das Loch mit bloßen Händen wieder zu, dann stößt sie sich ab und schwimmt los. Sie weiß, dass sie keine Chance mehr hat, aber ihr Auftrag ist erledigt. Noch einmal schaut sie nach hinten und sieht drei Menschen und drei Ozeaner, die auf sie zuschwimmen. Sesa nimmt ihre letzte Kraft zusammen und taucht so schnell sie kann weiter. Ihre Lungen brennen und sie hat Seitenstechen, ihre Verfolger kommen immer näher, aber im offenen Meer kann sie sich nirgends verstecken.
Nicht nach hinten gucken! Ermahnt sie sich und konzentriert sich nur aufs Schwimmen.
Unaufhaltsam kommen die Verfolger dem erschöpften Mädchen näher.
Jetzt trennen nur noch wenige Meter Sesa von den Mitgliedern der abtrünnigen Gruppe, die sich Delfine nennen. Sesas Magen krampft sich vor Angst zusammen, als eine kalte Hand ihr Bein festhält.
Plötzlich schwimmt jemand über ihr, den sie sehr gut kennt: Ihr größter Feind, Gregor!
„Jetzt stirbst du, dreckige Priesterin!“, ruft er lachend und zieht einen Dolch.
„Ich habe solange auf diesen Moment gewartet, Sesa!“
Er taucht neben ihr, hält ihre Haare fest und sieht ihr ins Gesicht, während er die Waffe in ihr Genick treibt. Das brodelnde Wasser, aufgewühlt von den Schwimmenden, färbt sich rot.
Sesa wird schwarz vor Augen, aber ihr letzter Gedanke gilt Atlantia.
Sie ist in Sicherheit! Niemand wird wissen, wo sie ist.
Dann gibt es keine Hüterinnen mehr.
 
Sesa starb am 12. Juli 1254, die nächste Hüterin wird erst fast 800 Jahre später erwählt werden. Dies ist ihre Geschichte.





Die neuen Schülerinnen
 
 
Shirly Mirlen besucht das Takaya-Gymnasium und ging gerade durch die Eingangstür, als Mia aus ihrer Klasse ihr entgegenkam.
„Du sollst ins Büro von Frau Neutal kommen, Shirly. Keine Ahnung, was sie will…“, richtete sie Shirly aus.
„Danke Mia!“
Das blonde Mädchen hetzte sofort los, denn in fünf Minuten sollte der Unterricht beginnen, aber wenn Lady Sylvine sie in der Schule zu sich bestellte, dann musste es wichtig sein.
Sie war zwar die Schulleiterin, aber sie gehörte auch zum obersten Rat der Delfinallianz.
Kurz darauf klopfte Shirly an die Tür mit der Aufschrift: Schulleitung.
„Herein!“
Sie ging ins Arbeitszimmer der jungen, schwarzhaarigen Frau und sah sich um. Außer Sylvine Neutal uns Shirly war niemand im Raum.
„Hallo Shirly“, begrüßte die Schulleiterin sie.
„Guten morgen, My… äh, Frau Neutal“, erwiderte Shirly. Fast wäre ihr „Mylady“ rausgerutscht, denn die Räte waren die Lords und Ladys der Allianz. Nur sollte das nicht unbedingt die ganze Schule wissen…
„Du musst vorsichtiger sein, Shirly!“, wies Frau Neutal Shirly zurecht, dann fuhr sie fort:
„Du hast neue Schülerinnen bekommen.“
„Echt?“, fragte die frischgebackene Lehrerin begeistert, „Wen?“
„Viveca Pleusch kennst du sicher, sie wird mit Finntu verbunden.“
„Viveca soll zur Allianz gehören???“, fragte Shirly überrascht. Sie konnte dieses schillernde Mädchen, das eine Klasse über ihr war, nicht ausstehen.
„Diese Entscheidung solltest du besser dem obersten Rat überlassen, Shirly!“, erklärte Lady Sylvine nachdrücklich.
Shirly nickte.
„Das war alles. Beeil dich, dann kommst du noch rechzeitig“, meinte sie mit einem Blick auf die Uhr.
 Blonde Haare flatterten durch die Gegend, als sie zum Englischraum spurtete, den sie gerade noch pünktlich betrat.
Finjai? rief sie die Ozeanerin, mit der sie verbunden war in Gedanken.
Shirly? Was ist los? fragte sie.
Hast du schon von unseren neuen Schülerinnen gehört? erkundigte ich mich.
 Finntu und Viveca Pleusch? Klar hab ich das mitgekriegt, Shirly!!! Kümmere du dich um Viveca, ich bring Finntu mit! Und jetzt konzentrierst du dich auf deinen Unterricht, Süße!
Ja, ja, mach ich Finjai erwiderte Shirly.
„Was ist los, Ly?“, erkundigte ihre beste Freundin, abgesehen von Shirly sich. Kyrillia war auch schon von Shirly ausgebildet worden, sie waren gute Freundinnen geworden und immer geblieben.
„Ich bekomme eine Schülerinnen“, flüsterte Shirly ihr zu.
„Cool! Wen?“
„Das errätst du NIE!“, meinte Shirly.
„Dann sag es mir schon!“, forderte Kyrillia.
„Viveca Pleusch!“
„Was, das Schillermädchen? Ist der oberste Rat verrückt geworden?“
„Shirly, Kyrillia, don’t talk in my lesson, please!“, unterbrach der Englischlehrer das Gespräch der beiden Mädchen.
 
In der Pause schloss Shirly sich in einer Kabine der Toilette ein, kritzelte einen Zettel für Viveca und schob ihn dann im Vorbeigehen in ihren Spind.
 
Fünf Minuten später kamen zwei Mädchen zu diesem Spind. Viveca hatte ihre Haare in allen Regenbogenfarben gefärbt, ihre beste Freundin Lea hatte schwarzes Haar mit pinken Strähnen. Die beiden hätten nicht unterschiedlicher sein können. Viveca war die geborene Anführerin, wild, groß und stand immer im Mittelpunkt, Lea war schüchtern, klein und in fast allem durchschnittlich. Trotzdem waren sie beste Freundinnen, die kichernd durch den Schulflur liefen. Viveca wollte schnell ihr Lateinbuch holen, doch in ihrem Schrank lag ein Zettel, zusammengefaltet, in einer sauberen Handschrift An Viveca adressiert. Irgendein Gefühl hielt sie davon ab, Lea den Zettel zu zeigen, stattdessen las sie ihn heimlich in der Lateinstunde.
 
 
Hi Viveca!
Wenn du etwas Unglaubliches erfahren willst, dann komm heute Nachmittag zur Eisdiele!
 
Eine neue Freundin
 
PS: Komm allein, sonst kann ich dir nichts erzählen!!!
 
Was sollte das denn? Vielleicht wollte ein Junge ein Date mit ihr, hatte aber zu viel Angst, sie zu fragen?
Nein, es sah mehr nach der Schrift eines Mädchens aus. Eine blaue Strähne viel ihr ins Gesicht.
Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, ihre Haare in allen Regenbogenfarben zu färben? Ach was, Lea fand es gut.
Viveca beschloss, zu diesem Treffen zu gehen. Vielleicht konnte ihr wirklich jemand etwas Cooles zeigen?
Und wenn nicht, dann konnte sie ja wieder gehen…
 
Am Nachmittag erzählte Viveca Lea, sie müsste ihren Papa noch anpumpen, weil sie noch ein Geschenk für Jonas, ihren Bruder, bräuchte, dann lief sie zur Eisdiele, die ihrem Papa gehörte.
Vor der Eisdiele wartete ein blondes Mädchen aus der Achten.
Sie sah Vivrca an und sagte; „Hey, Viveca, ich bin Shirly, hast du meinen Brief gekriegt?“
„Den von „einer neuen Freundin“, meinst du? Ja, den hab ich“, sagte Viveca.
„Komm mit!“, sagte Shirly skeptisch, „Ich zeig dir etwas ganz tolles!“
Sie gingen in Richtung Strand los.
Irgendwie fand Viveca Shirly seltsam. Sie hatten noch nie ein Wort miteinander gewechselt, und auf einmal redete sie mit ihr, als wollte sie gar nicht mit mir reden, aber sie musste es tun.
„Im ersten Moment klingt das für dich bestimmt komisch“, begann sie, „aber unsere Schule ist eigentlich nur Tarnung, um geeignete Mitglieder für die Delfinallianz und das Projekt Zahnwal zu finden. Es gibt im Meer nämlich die so genannten Ozeaner, und die Delfinallianz will dafür sorgen, dass die Menschen friedlich mit ihnen zusammenleben.
Das Projekt Zahnwal will alle Menschen und Ozeaner versklaven.
Und du, Viveca, bist auserwählt worden, der Allianz zu helfen, die Freiheit zu bewahren.“
Natürlich hielt Viveca Shirly für komplett verrückt, denn das klang sicher nicht nur „im ersten Moment“ komisch, aber damit hatte Shirly gerechnet.
„Du wist mit einer Ozeanerin verbunden, du wirst nur durch deine Gedanken mit ihr in Kontakt treten können. Die Ozeanerin, mit der ich verbunden bin, und ich, wir werden euch beide unterrichten, damit ihr der Allianz im Kampf gegen das Projekt helfen könnt.
„Du spinnst doch!“, sagte Viveca Shirly ins Gesicht.
„Das habe ich Lady Sylvine auch gesagt, als sie mir davon erzählt hat.“
„Wer soll denn Lady Sylvine sein?“, fragte sie.
„Sylvine Neutal, unsere Schulleiterin. Sie bildet zusammen mit Lord Ferenec, Lord Uriel und den Ozeanern, mit denen sie verbunden sind, den obersten Rat. Die sechs wurden gewählt und sind die Chefs der Allianz.
Das Projekt hat Anführer, die sich die Vier Könige nennen. Aaron Zimmer, Lucianus Adams und die entsprechenden Ozeaner.“
„Du verarscht mich doch, Shirly!“, behauptete Viveca standhaft.
„Nein, Viveca!“
Shirly führte Viveca in einen alten Schuppen, der irgendwo am Strand stand.
„Willkommen auf dem Helenenhof, dem Hauptquartier der Allianz auf Land.
Sie schloss kurz die Augen.
„Was soll das?“, fragte Viveca.
„Ich habe Finjai gerufen. Sie ist fast da und bringt Finntu mit. Du wirst mit Finntu verbunden, wenn es soweit ist.“
Dann öffnete sie eine Art Falltür, die im Boden eingelassen war.
Unter der Tür war Wasser und plötzlich erschien der seltsamste Kopf, den Viveca je gesehen hatte.
Finntu hatte glatte, natürlich nasse, meeresgrüne Haut, schmale Lippen, schneeweiße, spitze Zähne, eine lange, Algenfarbene Zunge und weder Wimpern noch Augenbrauen. Ihr Schlitzförmigen Augen saßen schief im Kopf, wie bei Elfen. Statt Ohren hatte sie nur zwei Löcher zum Hören im Kopf, wie ich später erfahren sollte.
Ihr Haar war schwarz und verfilzt.
 
Nach ihr taucht auch Finjai auf. Sie sah fast genauso aus, wie Finntu, nur dass ihre Haare ordentlich gekämmt und mit Blumen geschmückt waren. Finntu streckte nur den Kopf aus dem Wasser, während Finjai bis zu den Schultern auftauchte. Viveca starrte zwanzig Zentimeter langen, dünnen Hals an, mit je drei Schlitzen rechts und links. Kiemen!
„Wow, diese Ozeaner gibt es also echt!“, rief sie.
„Finjai, saracharivan assalagdjkiran schalarefegdunown fehigin abriantalesch!“, meinte Finntu.
„Sie sagt, dasselbe, wie du, nur über Menschen!“, erklärte Shirly Viveca.
„ Menere etrianan Shirly, ferene tara Viveca. Ich bin Shirly, das ist Viveca.“
„Du kannst es immer noch nicht richtig, Süße! „Ferene“ spricht man mit einem gezischten „s“ am Ende aus, „ferenes“!“, verbesserte Finjai.
„Du hast gut reden!“, beschwerte sich Shirly und erklärte ihrer menschlichen Schülerin: Nach der Verbindung konnte Finjai Naydoran, genauso gut wie Ozeàn, die Sprache der Ozeaner. Ich muss es mühsam lernen. Naja, dass ist immer so…“
Finjai übersetzte für Finntu, was sie gesagt hatte.
„Glaubst du mir jetzt?“, fragte Shirly Viveca woraufhin diese nickte.
Bei Finntu und Finjai spielte sich offenbar dasselbe ab.
Dann verschwanden die beiden wieder.
„Wir machen uns auch auf den Weg“, meinte Shirly und fragte: „Wann hast du noch mal Zeit, dass wir uns treffen können, ohne dass es auffällt?“
„Am Wochenende sind Lea und ihre Eltern weg, mein Papa ist auf Geschäftsreise.“
„Okay“, sagte sie, „Niemand darf wissen, was du heute gesehen hast, und niemand darf merken, was los ist. Wenn jemand vom Projekt unsere Identitäten aufdeckt, dann werden sie alles daransetzen, uns zu töten. Bring am Wochenende auch deinen Badeanzug mit. Wir treffen uns wieder an der Eisdiele, in Ordnung?“
„Okay, Samstag um zehn?“, erwiderte Viveca.
Shirly nickte und ging davon.
Ihre Schülerin machte sich auch auf den Weg nach Hause.
 
Auf dem Weg nach Hause traf Shirly (bestimmt nicht zufällig) Sylvine Neutal.
„Shirly?“, fragte sie.
Die Angesprochene drehte sich um.
„Hallo Frau Neutal!“
„Solltest du nicht an deinen Hausaufgaben sitzen?“, fragte Lady Sylvine. Sie wollte wissen, ob Shirly Viveca schon etwas erzählt hatte. Diese Codes hatte die Schulleiterin Shirly beigebracht, damit sie nicht jedes Mal an einen sicheren Ort gehen mussten, um sich zu unterhalten.
„Damit bin ich schon fertig. Ich war noch mit Viveca aus der Neunten Eis essen.“
Damit ließ ich Shirly ihre ehemalige Lehrerin wissen, dass sie Viveca eingeweiht hatte.
„Bis Morgen, und komm nicht wieder in letzter Sekunde!“
„Natürlich nicht, Frau Neutal.“
Damit war auch ein Treffen, morgen vor dem Unterricht abgemacht.
Finjai?
Was gibt’s, Shirly?
Was kann Lady Sylvine von mir wollen?
Die Bücher! Half sie Finjai Shirly auf die Sprünge.
Na klar! Danke. Wie fandest du es?
Also Viveca ist ein bisschen verrückt, Finntu ist nett.
Ein bisschen??? Wir treffen uns Samstag um zehn im Helenenhof.
Geht klar, Süße!
Ich hasse es, wenn du mich so nennst, Finjai!
Pech für dich, Süße!
Frieden?
Frieden!
Bis dann, Finjai!
Schlaf schön, Shirly!
Shirly sah zum Himmel. Es wurde wirklich langsam dunkel. Wie üblich hatte sie keine Uhr an, aber sie schätzte es, war halb acht.
Schnell lief Shirly nach Hause. Ihre Eltern durften nichts merken!
Gerade noch rechzeitig schloss sie die Tür auf, hetzte die Treppe hoch in ihr Zimmer und hörte schon das Auto der Eltern, die zusammen ein ganzes Stück entfernt irgendwelche Ausgrabungen machten.
Als Meeresarchäologen waren sie eine gute Quelle dafür, wann und wo die Mitglieder der Allianz lieber nicht tauchen sollten.
Die armen Archäologen würden beim Anblick der Ozeaner sicher einen Mordsschreck bekommen.
Als die Eltern, die wie üblich ihre Schlüssel nicht dabeihatten, klingelten knallte Shirly mit der Tür und lief die Treppe runter, als würde sie einen Elefanten tragen.
Ihre Eltern sollten ruhig wissen, dass ihre Tochter genervt war. Das heißt, sie sollten den Eindruck bekommen, Shirly wäre genervt, denn als Mitglied der Allianz sollte sie ihre Gefühle unter Kontrolle haben, aber sich trotzdem im normalen Leben wie ein Teenager verhalten.
In einer überzeugenden, schauspielerischen Leistung riss Shirly die Tür auf.
„Hi Mama, hi Papa.“
„Hallo Ly!“, begrüßten ihre Eltern sie, wie aus einem Munde.
„Wir gehen heute Essen!“, verkündete Shirlys Papa.
„Wieso?“, fragte sie. Immerhin musste sie noch Hausaufgaben machen. Na ja, die Allianz fordert Opfer… Solche Opfer mussten ja nicht immer unanagenehm sein!
„Wir haben die Unterwassergrabung in Sarate genehmigt bekommen!“, erklärte er stolz.
„Es macht dir doch nichts aus, dass wir ein paar Monate weg sind? Mein Bruder Ferenec kommt her und passt auf dich auf“, erklärte ihre Mama.
„Ich habe einen Onkel Ferenec? Wusste ich gar nicht!“, meinte Shirly.
Ferenec??? Ihre Mutter hieß mit Mädchennamen Sajavun. Ferenec Sajavun, ein Mitglied des obersten Rates, oder hieß er nur zufällig genauso?
„Ferenec war zum letzten mal hier, als du ein Baby warst, und er hat immer so viel zu tun, weißt du, er ist auch Archäologe, und jetzt hat er ein paar Monate nichts zu tun und ist einverstanden, sich um dich zu kümmern“, meinte die Mama total begeistert.
„Wo fahren wir denn hin? Können wir zum Chinesen?“, fragte Shirly.
„Klar!“, meinten ihre Eltern. Eigentlich hassen sie Chinesisches Essen, ihre Tochter liebe es. Bestimmt hatten sie Schulgefühle, weil sie Shirly alleine ließen, bei ihrer Grabung in Sarate. Shirly hatte kein schlechtes Gewissen dabei, ein chinesisches Essen abzustauben und Viveca in aller Ruhe trainieren zu können, weil ihre Eltern weg waren.
Zu dritt stiegen in den uralten Mazda (Shirly war sich sicher, dass ihre Eltern den irgendwo ausgegraben haben mussten), und fuhren zum Chinesen.
Finjai?
Shirly?
Wusstest du, dass mein Onkel Ferenec Sajavun heißt?
Ja.
Ist das Zufall?
Dass ein Mitglied des obersten Rats dein Onkel ist?
Ich meinte, dass er so heißt! Ich war mir nicht sicher, ob er Lord Ferenec ist.
Natürlich ist er das. Hast du vergessen, dass ich Liviuoahfalcoiryanoberneds Tochter bin?, fragte sie.
Ähm… Ja gestand ich.
Also, es ist kein Zufall.
Aha.
Schlaf schön, Süße!
Du auch Finjai!
Das sie noch lange nicht schlafen würde, musste Finjai ja kein Kopfzerbrechen bereiten.
 
 
Lea kam mit nassen Haaren zuhause an, ihre Eltern waren nicht da, und sie war Einzelkind, also würde niemand bemerken, dass Carola und Idunaxane heute eine Extrastunde gegeben hatten. Es war ein glücklicher Zufall, dass Viveca noch zu ihrem Vater musste, sodass sie sich noch mit Kim und ihren Lehrerinnen treffen konnte. Seit vier Wochen gehörte Lea zum Projekt Zahnwal und sie liebte es. Carola brachte ihr alles Mögliche bei, die meiste Zeit waren sie im Wasser, viel mehr vier gute Freundinnen als Schülerinnen und Lehrerinnen. Nur wegen Viveca hatte Lea arge Gewissensbisse. Sie waren seit dem Sandkasten beste Freundinnen und jetzt war Carola für sie viel interessanter als Viveca… Es wäre cool, wenn auch Viveca zum Projekt gehören könnte. Carola hatte ihr erzählt, dass es früher eine Priesterschaft gab, deren Nachfahren sie waren, aber die Delfinallianz wollte alles ins Licht der Öffentlichkeit zerren und sie, die die Tradition noch befolgten, vernichten.
Oft saßen sie auch nur da und Carola erzählte Legenden, die seit Jahrhunderten vom Projekt bewahrt wurden. Mythen über Atlantis, die Hauptstadt der Ozeaner und über Atlantia, die goldene Braut der Seelen, die Güte, die Gerechte. Niemand wusste viel mehr über sie als diese Namen, und dass sie irgendwo unter Atlantis begraben war. Allein um ihretwillen musste die Allianz gestürzt werden.
 
Viveca legte sich nach den Hausaufgaben sofort ins Bett, denn sie musste über eine Menge nachdenken.
Sie sollte also zu der Delfinallianz gehören, und Frau Neutal war eine Chefin davon.
Shirly, die eigentlich eine Klasse unter ihr war, sollte sie ausbilden, damit sie dieser Allianz helfen konnte, „das Böse“, in diesem Fall das Projekt zu besiegen.
Das klang alles so unglaublich, so komisch. Aber Viveca war gespannt, was noch kommen würde. Und wer gehörte zu diesem Projekt? Leute die sie kannte? Jemand aus der Eisdiele? Jonas? Lea? Papa? Ein Lehrer? War ihre Mama vielleicht gar nicht mit ihrem Schiff gesunken, sondern hatte zu einer der Gruppen gehört und war erledigt worden?
Quatsch, sagte sie sich, Lea, ihre Familie und die Angestellten ihres Vaters kannte sie doch. Lea sowieso niemals. Sie war viel zu schüchtern, zu lieb und Vivecas beste Freundin, sie konnte niemals zum Projekt gehören! Und ihre Mama war bei einem Unfall gestorben. Nur weil es so etwas Verrücktes gab, musste Viveca nicht anfangen, all ihren Bekannten zu misstrauen.
 
„Jonas bleibt am Wochenende bei Oma und Opa, du schaffst das schon alleine, Schätzchen. Bis Montag!“, verabschiedete Papa sich.
Viveca packte ihre Schwimmsachen, auch wenn ihr nicht ganz klar war, wieso Shirly im April schwimmengehen wollte, aber sie war der Meinung, ihre Lehrerin hätte sich bestimmt etwas dabei gedacht.
Dann ging Viveca zur Eisdiele.
„Hi Viveca, wie geht’s?“, fragte Lilly sie.
„Gut, Lilly. Ich bin mit einer Freundin verabredet.“
„Lea?“
„Die ist mit ihren Eltern übers Wochenende in Paris.“
Da kam Shirly schon herein.
„Hi Viveca!“, begrüßte sie Viveca freundlich. Irgendwie war Shirly anders als gestern, nicht mehr abweisend und kalt.
„Hallo Shirly! Sollen wir los, oder willst du noch ein Eis essen?“
„Nee, ich will lieber gleich los. Sonst müssen die Anderen so lange auf uns warten“, sagte sie.
 
 
Viveca und Shirly gingen wieder den Strand entlang.
„Willst du wirklich ins Meer?“, fragte die Schülerin die Lehrin. Oh, Viveca, du wirst noch staunen, dachte ich Shirly.
„Warte es doch ab!“, rief sie dann und rannte die letzten Meter zum Helenenhof.
Finjai, wir sind gleich da!
Gut!
Die beiden betraten das Hauptquartier und Shirly öffnete die Verbindungstür.
Finjai streckte ihren Kopf aus dem Wasser und rief:
„Hallo ihr beiden, Finntu wartet unten!“ Dann war schon wieder abgetaucht.
„Zieh deine Badesachen an!“, rief Shiely Viveca zu, dann zog sie sich selbst aus, den Badeanzug hatte sie schon unter ihren Klamotten angehabt.
Dank der Kraft der  Anpassung an die Temperatur machte ihr das kalte Wasser nichts mehr aus, so dass sie problemlos hineinspringen konnte, während Viveca sich zierte.
Na gut, das konnte Shirly verstehen, als Lady Sylvine einfach ins Wasser gesprungen war, im Januar, hatte sie sich auch nicht getraut. Genau deswegen zog sie ihre Schülerin auch einfach herunter, statt groß zu fragen.
Viveca kreischte, aber nach einigen Sekunden war alles in Ordnung.
„Kannst du tauchen, so zehn Meter weit?“, fragte Shirly.
„Keine Ahnung…“
„Dann ziehen Finntu und Finjai dich, nur zur Sicherheit! Tief Luftholen!“, rief Shirly, da wurde Viveca auch schon unter der Schuppen hinaus, ins Meer gezogen.
Glücklich atmete Shirly aus und tauchte unter.
Sie liebte die Fähigkeit der doppelten Lunge, die sie seit der Verbindung mit Finjai hatte. Langsam atmete sie ein und fühlte, wie das kalte Wasser ihre Lungen füllte.
Die Körpertemperatur hatte sich bereits dem Meer angepasst, und Shirly konnte losschwimmen, raus ins offene Meer.
Sie behielt aber Viveca im Auge, die von Finntu und Finnjai mitgenommen, aber immer rechzeitig an die Oberfläche gezogen wurde.
Als die Vier außer Sichtweite der Küste waren, blieb Shirly vier Meter unter der Oberfläche hängen und atmete das Wasser aus, bevor sie an die Oberfläche schwamm und ihre Lungen sich wieder mit Luft füllte. Das restliche Wasser hustete sie aus, als drei Köpfe neben mir auftauchten.
„Wow, ich hätte nie gedacht, wie schön das Meer sein kann.“
Mit dieser Äußerung stieg Viveca ein Stückchen in Shirlys Achtung. Das Meer war schon, wenn man es ein bisschen besser kannte, konnte man stundenlang davon schwärmen
„Du musst erstmal die doppelten Lungen haben, und ein Riff sehen!“, schwärmte sie.
„Was ist das?“, fragte Viveca.
„Du kannst damit unter Wasser atmen, wie mit Kiemen.“
„Bevor du Atlantis gesehen hast, weißt du nicht, was schön ist! Sollen wir jetzt die Verbindung machen, oder nicht, Süße?“, beschwerte Finjai sich.
„Ja, Finjai. Also, Viveca, willst du eine Schülerin der Delfinallianz werden?“, fragte Shirly feierlich.
„Na klar!“, antwortete sie.
Finjai und Finntu spielten dasselbe durch.
„Viveca und Finntu, schwört ihr, der Allianz zu dienen, ihre Existenz geheim zu halten und keine Geheimnisse der Allianz zu verraten?“
Finjai übersetzte, dann schworen Viveca und Finntu den Eid der Allianz.
„Legt eure Hände ineinander!“, befahl Shirly, dann hielt sie Vivecas linke Hand mit ihrer Rechten und Finjais Rechte mit ihrer linken Hand, die Vier bildeten einen kleinen Kreis. Jetzt sprachen Finjai und Shirly gemeinsam, nur in verschiedenen Sprachen.
„Viveca Pleusch, dir wird als menschlichem Teil dieser Verbindung die Gabe der doppelten Lunge und die Fähigkeit deine Körpertemperatur anzupassen gegeben. Finntu, dir wird als ozanischem Teil der Verbindung die Gabe der doppelten Lunge und die Sprache deiner Partnerin gegeben. Ihr werdet in euren Gedanken miteinander sprechen können. Diese Verbindung besteht euer ganzes Leben lang und macht euch zu Mitgliedern der Delfinallianz. Seit ihr bereit für diesen Schritt?“
Sie mussten noch warten, bis Finjai ausgeredet hatte, denn Ozeàn ist eine längere Sprache als Naydoran.
Dann antworteten beide, jeweils in ihrer Sprache: „Das sind wir.“
Finjai und Shirly schlossen die Augen. Für diese Aufgabe mussten sie sich konzentrieren. Ganz langsam begannen sie zu leuchten und schmiedeten die Verbindung zwischen Finntu und Viveca.
 
Lea war das ganze Wochenende bei Carola.In den Nächten dachte sie viel nach. Ihr schlechtes Gewissen wurde immer drückender. Sie wollte Viveca nicht mehr anlügen, andererseits war das Projekt so wichtig, wahrscheinlich wichtiger als eine Freundschaft, oder? Aber diese Freundschaft war Lea auch wichtig. Andererseits baute sie gerade eine Freundschaft mit Idunaxane, Carola und Kim auf. Vor allem die Verbindung mit Kim, aber auch die Freundschaft mit ihren Lehrerinnen ging irgendwie weiter als die mit Viveca.
Woran denkst du? fragte Kim sie.
Kim, ich weiß schon, dass wir das Richtige tun, aber ich will Vivecas Freundschaft nicht verlieren. Vielleicht tun wir das Richtige auf die Falsche Art? ´versuchte Lea ihre Gefühle zu erklären.
Am Ende ist vor allem wichtig, dass wir das Richtige tun, dann kommt das Richtige dabei raus. Ist dir das nicht wichtiger als Viveca? Außerdem, du verlierst eine Freundin und bekommst drei Neue, ist das NICHT ein guter Weg, das Richtige zu tun?
Lea verstand, was Kim meinte, aber es beruhigte sie nur oberflächlich.
Gute Nacht Kim!
Schlaf schon, Lea, und denk nicht so viel darüber nach. Es ist spät.

Ferenec
 
 
Viveca spürte, wie die Verbindung entstand. Ein feines Band, dass Finntu und sie verband.
Finntu? fragte sie in Gedanken.
Viveca?
„Dazu habt ihr später noch genug Zeit. Erst will ich wissen, ob alles geklappt hat. Finntu, verstehst du jetzt alles?“, fragte Shirly.
„Ja. Es klingt ungewohnt in meinen Ohren, aber ich kann es verstehen.“
„Dann atme aus, soweit es geht und streck den Hals aus dem Wasser!“, befahl Finjai, „ wenn es am Anfang ein bisschen brennt, wenn du die Luft einatmest, dann konzentrier dich darauf, ruhig zu atmen, du darfst nicht in Panik geraten.“
Finntu tauchte ohne Probleme bis zu den Schultern auf. Shirly und Finjai beobachteten Finntu angespannt, nach einer Weile sagte Shirly:
„Das ist gut. Jetzt bist du dran, Viveca. Du musst ganz stark ausatmen, und dann untertauchen. Es kann sein, dass du einen Würgreiz spürst. Es ist dasselbe wie bei Finntu: Ruhig und konzentriert Atmen, es wird bei jedem Wechsel leichter, du darfst nur nicht plötzlich wieder auftauchen, sondern musst es genauso machen, wie beim untertauchen. Immer erst ausatmen!“
Viveca atmete aus und tauche unter, die anderen folgten ihr.
Wasser füllte ihre Lungen und Viveca hatte das Gefühl zu ersticken. Sofort verfiel sie in heillose Panik und wollte auftauchen, aber Finjai, Shirly und Finntu hielten sie unter Wasser fest.
Die wollten sie umbringen!
Viveca, beruhige dich! Niemand von uns will dir etwas Böses! Konzentriere dich darauf, ganz ruhig zu atmen, dann ist es nicht schlimm! beruhigte Finntu ihre Partnerin.
Das wirkte mehr als ihre Anstrengungen, Viveca festzuhalten. Sie wurde ruhig und könnte wieder atmen.
Es war unglaublich! Sie konnte tauchen, ohne die Luft anhalten zu müssen.
Zu viert schwammen sie mindestens zehn Meter in die Tiefe.
„Du musst langsam wieder auftauchen, sonst geht deine Lunge kaputt!“, rief Shirly mir zu. Ihre Stimme klang verzerrt.
„Warum?“, fragte Viveca irritiert.
„Wenn du Wasser einatmest, dann ist das eine Wasserstoff-Sauerstoff-Verbindung, H²O, du weißt schon. In der Luft ist Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoffdioxid. So, Wasser ist dichter, je tiefer du kommst, wegen dem Druck, na, du weißt schon… Dadurch atmest du mehr Sauerstoff ein, das ist aber für deinen Körper kein Problem, denn Sauerstoff brauchst du beim Schwimmen sowieso viel, weil du dich ja bewegst und so. Mehr Sauerstoff aufnehmen ist also kein Problem. Aber wenn es nach oben hin immer weniger wird, daran muss dein Körper sich gewöhnen. Und zur Umstellung von Wasser auf Luft, oder umgekehrt, musst du tief ausatmen, weil du dich sonst fürchterlich verschluckst!“
In weiten Kreisen stiegen die Vier wieder auf.
„Ausatmen!“, rief Finjai, und sie tauchten alle auf.
Viveca hustete und spuckte erstmal Wasser, sie hatte wieder das Gefühl zu erticken, aber es war besser als beim untertauchen, dann jetzt war wenigstens Luft um sie herum. Nach einer Weile hatte sich ihr Atem beruhigt und Viveca registrierte, dass sie im Helenenhof waren.
„Raus aus dem Wasser!“, befahl Shirly, „Am Anfang passt sich die Temperatur noch nicht so gut ans Wasser an, dann kannst du dich leicht erkälten!“
Viveca stieg aus der Naysee, Shirly folgte ihr.
Sie trockneten sich ab, zogen sich an, dann zog Shirly zwei Bücher aus ihrer Sporttasche.
Solche Bücher hatte Viveca noch nie gesehen. Zwei gebundene Bücher, aber der Einband war nicht aus Papier, sondern aus…
„Delfinhaut!“, erklärte Shirly, „Nur von verendeten Tieren, natürlich. Die Seiten sind aus Walleder, auch nur von toten Tieren.“
Sie gab Finntu und Viveca jeweils ein Buch.
Den Schülerinnen fiel auf, dass in die glatte, graue Haut verschnörkelt etwas eingraviert war.
 
*Schülerbuch*      *Viveca Pleusch*      *Finntu*
*Delfinallianz*
 
Dann holte Shirly zwei Pinsel und zwei Tintenfässchen heraus.
„Die Pinsel sind aus menschlichen Knochen und Ozeanerhaar, die Tinte ist eine Mischung, die im Wasser und an der Luft gleichermaßen haltbar ist, aber ich kenne die Zusammenstellung nicht. Eure erste Aufgabe ist es, die Unterschiede zwischen Menschen und Ozeanern tabellarisch festzuhalten. Seht euch die erste Seit an!“, befahl Finjai.
Dort war in Shirlys ordentlicher Schrift eine Tabelle angefangen, die Finntu und ich ergänzen sollten.
 
Vergleich von Menschen und Ozeanern
 
Die Tabelle dazu war mehre Seiten lang.
 
Mit ein bisschen Hilfe ihrer Lehrerinnen füllten Finntu und Viveca die Tabelle aus.
„Treffen wir uns morgen wieder?“, fragte Viveca.
„Klar, wenn du Zeit hast. Komm direkt hierher, pass aber auf, dass dir niemand folgt!“, meinte Shirly.
„Dann bis morgen um halb elf. Ach ja, die wichtigsten Sachen solltet ihr euch übrigens merken!“, fügte Finjai hinzu und tauchte ab.
Viveca und Shirly machten sich schweigend auf den Heimweg. Viveca rätselte immer noch über Shirlys Verhalten. Sie war kalt und abweisend, aber in der Eisdiele hatte sie sich benommen, als wären sie Freundinnen.
 
Shirly kam nach Hause und sah ein rotes Cabriolet vor der Tür, während der  altersschwacher Mazda noch nicht zuhause war. Hatte Papa ein neues Auto besorgt? So ein Quatsch, ihre Eltern spielten sicherlich noch in ihrem historischen Sandkasten.
Sie schloss also die Tür auf und schlug sie laut wieder zu. Mal sehen, ob jemand darauf reagierte.
„Shirly?“, fragte eine tiefe Stimme aus dem Wohnzimmer.
„Wer ist da?“, erkundigte sie sich misstrauisch.
„Ich bin’s, dein Onkel Ferenec“, sagte er, und ein Gesicht, an das Shirly sich noch gut erinnerte, spähte aus dem Türrahmen. Er schien sie nicht wieder zu erkennen. Er wusste, dass sie seine Nichte war, aber er erinnerte sich offenbar nicht an Shirlys Begegnung mit dem obersten Rat.
„Ich dachte, ich komme schon ein paar Tage, bevor deine Eltern wegfahren, damit wir uns schon mal kennen lernen können. Warst du Schwimmen?“, fragte er misstrauisch, als er ihre nassen, blonden Haare bemerkte.
„Finjai und ich habe Schülerinnen, Mylord“, erwiderte Shirly gelassen.
Er war offensichtlich überrascht.
„Du gehörst zur Allianz? Deine Eltern haben mir immer von einem lieben, kleinen Mädchen erzählt!“, er lachte.
„Na ja, besonders viel bekommen sie nicht von meinem Leben mit, wenn sie immer nur Vasen ausgraben…“
„Mit wem bist du denn verbunden?“
„Finjai ist Lord Liviuos Tochter, Mylord“, klärte sie ihn auf.
„Lass das „Mylord“ mal stecken, wir sind doch schließlich verwandt. Kannst du Sylvine von mir grüßen, und ihr ausrichten, dass ich noch etwas mit ihr besprechen muss?“
„Kein Problem!“, meinte Shirly.
„Und was macht deine Schülerin?“
„Na ja, besonders viel noch nicht, Finjai und ich haben sie heute verbunden.“
„Dann hast du ja noch eine Menge vor dir. Wen hast du denn abbekommen?“
„Finntu und Viveca Pleusch“
„Ach, ich erinnere mich. Sylvine wollte sie unbedingt aufnehmen. Irgendwann haben wir dann zugestimmt“
Sie hörten Shirlys Eltern ankommen.
Vorsorglich machte sie schon die Tür auf. Es war kaum anzunehmen, dass die Eltern einen Schlüssel dabeihatten.
„Hallo Ly!“, begrüßten sie mich.
„Hallo Ferenec! Wie ich sehe, habt ihr euch schon kennen gelernt“, rief Mama begeistert.
„Ly, ich hoffe es macht dir nichts aus, aber wir haben einen supergünstigen Flug nach Sarate bekommen, allerdings schon morgen…“, erzählte ihr Papa.
„Kein Problem, Shirly und ich kommen schon klar!“, meinte Ferenec.
„Das ist gut. Katrin, kannst du was kochen, dann packe ich schnell unsere Sachen“
Shirlys Mama nickte, ihr Papa verschwand im Schlafzimmer und sie selbst verzog mich in ihr Zimmer.
Ferenec folgte seiner Nichte und bot an:
„Wenn du bei deiner Schülerin Hilfe brauchst, dann frag ruhig.“
„Danke für das Angebot, aber ich komm schon klar. Viveca ist schon meine zweite Schülerin und ich selbst gehe seit sechseinhalb Jahren auf Missionen, inzwischen schon zusammen mit Romykary und Kyrillia, meinen ersten Schülerinnen. Das klappt schon!“, lehnte Shirly so höflich wie möglich ab. Nein, sie konnte wirklich keinen Onkel gebrauchen, ob nun Ratsmitglied oder nicht, der ihr in alles reinredete.
„Wer hat dich eigentlich Ausgebildet?“, fragte er.
„Lady Sylvine und Lady Runaverieill“, antwortete Shirly stolz. Sie war zurzeit die Einzige, die von einem Mitglied des obersten Rats ausgebildet worden war, abgesehen von den Mitgliedern desselben, die von ihren Vorgängern unterrichtet worden waren. Nur wenn ein Mitglied des Rates jemanden unterrichtet hat, kann derjenige selbst Mitglied werden, aber alle drei waren noch jung und verschwendeten selten einen Gedanken an ihre Nachfolge. Eigentlich hoffe Shirly, dass ich nie gewählt werde. Das war richtig viel Arbeit, und für Missionen hat man keine Zeit, dabei machte die das echt gerne.
„Essen ist fast fertig!“, rief meine Mama aus der Küche herunter.
Shirly rutschte das Treppengeländer runter und landete im Wohnzimmer, das nur von einer Papierwand vom Esszimmer abgeteilt war.
Dann deckte sie schnell den Tisch. Besonders vornehm sah es nicht aus, denn vier zusammenpassende Teller waren bei Familie Mirlen nicht zu finden, aber es gab Nudeln mit Tomatensoße, und dafür musste es gar nicht vornehm aussehen, fand zumindest Shirly.
Beim Essen ließen sich ihre Eltern lang und breit über ihre Ausgrabung an der sarateischen Küste aus, für die sie so lange weg sein würden.
Irgendwer hatte irgendein altes Schiff gefunden, und jetzt durften sich die Wissenschaftler darauf tummeln. Na ja, wenn’s denen Spaß macht…
Die Eltern stritten sich nach dem Essen im Schlafzimmer darüber, was sie mitnehmen sollten und was nicht, Shirly konnte mich mit ihrem Onkel unterhalten. Es war echt gut, mit jemandem über die Delfinallianz zu reden, der wusste was los war. Es war eine Welt für sich, eine wunderschöne Welt, die man aber (noch) nicht mit jedem teilen konnte.
„Du interessierst dich nicht für Unterwasserarchäologie?“, fragte er.
„Nein, kein bisschen. Die alten antiken Völker und was- auch- immer sind schon längst tot, und mir sind sie egal.“
„Aber überleg mal, welche Erkenntnisse man gewinnen kann und überleg dir mal, wie schön es wäre, in einem Wrack zu schwimmen. Das ist ein Bereich, wo wir mit den Ozeanern zusammen soviel mehr erreichen könnten!“, meinte er schwärmerisch.
„Na ja, ich finde es trotzdem langweilig. Viel besser wäre es, die Tiefsee zusammen mit den Ozeanern zu erforschen. Finjai und ich wollten schon immer mal richtig tief runter in den Atlantik. Das wäre viel interessanter“, behauptete Shirly.
„Wo trefft ihr euch eigentlich?“, fragte Ferenec.
„Helenenhof“, meinte sie schlicht. Das war für Shirly selbstverständlich.
„Ach stimmt, ihr habt ja das Hauptquartier gleich um die Ecke.“
„Ja. Aber im ernst, es wäre cool, wenn alle Ozeaner mit der Allianz zusammenarbeiten würden. Ich wünschte, ich könnte mal Atlantis, ihre Hauptstadt sehen. Finjai schwärmt immer davon…“
„Oh ja, Atlantis muss wunderschön sein. Ich glaube, alle Ozeaner reden mindestens einmal die Woche davon. Und jedes Mal fällt der Satz: „Das musst du gesehen haben!“ Man könnte denken, die haben ihre Stadt vergoldet!“
Shirly nickte. Dann schüttelte sie den Kopf, denn sie hörte Schritte. Ihr Papa kam herein.
„Wollen wir heute Abend eine Spielrunde machen?“, erkundigte er sich.
„Klar!“, rief Shirly.
Alle Vier setzten uns alle an den Esstisch und spielten „Notlüge“ und „Mensch-ärgere-dich-nicht“, bis die Eltern Shirly ins Bett schickten.
 
Als sie am nächsten Morgen aufstand, waren sie schon weg, nur auf ihrem Schreibtisch lag ein Zettel:
 
Liebe Ly!
 
Wir mussten schon früh los und wollten dich nicht wecken. Die Telefonnummer vom Hotel ist 510-17689-090887, unsere Handynummer hast du ja. Sei lieb zu deinem Onkel,
 
Mama und Papa
 
PS: Bitte ruf nicht wieder mitten in der Nacht an!
 
Wütend zerriss Shirly den Zettel. Sie hatte vor ein paar Jahren bei ihren Eltern angerufen, und nicht bedacht, dass Tajel nicht in derselben Zeitzone liegt wie Naydorana. Es war für meine Eltern zwei Uhr nachts gewesen, als sie anrief, was sie nicht besonders lustig fanden.
Aber Shirly hasste solch Briefe einfach wie die Pest. Sie fingen immer mit „Liebe Ly“ an und enthielten doofe Ratschläge.
Statt ihr das am Abend vorher zu sagen quetschten sie es in ein paar Zeilen!
Wütend auf ihre Eltern ließ Shirly ihre Gefühle mit sich durchgehen, als hätte sie in ihrer Ausbildung nichts gelernt, aber als sie das feststellte, wurde nur noch wütender, auch auf sich selbst.
Sie entlud ihre Wut an ihrem Boxsack, von dem Kyrillia immer sagte, er müsse mehr leiden, als er verdiene.
Shirly? fragte Finjai mich.
Was ist los?, giftete Shirly sie an.
Ich habe gefühlt, wie du wütend geworden bist. Was ist los? erkundigte Finjai sich ruhig.
Meine Eltern sind mal wieder ohne ein Abschiedswort abgehauen!
Und deshalb bist du so sauer? Haben Lady Runaverieill und Lady Syline dir nichts beigebracht? erkundigte sie sich.
Danke! Genau die Aufmunterung, die ich jetzt brauche! meckerte Shirly sie an, doch das tat ihr auch gleich wieder Leid. Immerhin waren sie sozusagen „unzertrennlich“.
Sorry, Finjai. War nicht so gemeint. Ich kann es nur einfach nicht ab, dass sie einfach so verschwinden!
Komm runter, aber bring die Sachen für den Unterricht mit. Wir schwimmen schon mal eine Runde, bevor Finntu und Viveca kommen. Das wird dir gut tun!
Danke, Finjai!
Shirly packte schnell die Sachen zusammen und lief dann zum Helenenhof, wo sie Finjai, Kyrillia und Romykary traf.
„Hallo ihr drei!“, rief sie, immer noch ziemlich schlecht gelaunt.
„Hey, Shirly, was ist los?“, fragte Kyrillia.
„Meine Eltern. Sie sind einfach so weggefahren! Ohne sich zu verabschieden. Kyrillia hatte die Beide ins Wasser hängen lassen, jetzt stand sie auf und umarmte ihre Freundin.
„Shirly, sie meinen es doch gar nicht so. Deine Eltern sind halt so.“
„Wettschwimmen?“, forderte Romykary die anderen Drei heraus.
„Klar!“
Schnell waren Kyrillia und Shirly im Wasser und sie schwammen Rennen, bis alle Vier todmüde im Helenenhof lagen, viel zu ausgelaugt, um noch wütend oder traurig zu sein.
 
Carola und Idunaxane brachten ihren Schülerinnen bei, mit den bei Ozeanern üblichen Harpunen umzugehen. Es waren kleine Gewehre, die keine Kugel, sondern Pfeile mit Widerhaken verschossen. Stundenlang machten sie Zielübungen, denn Lea konnte zwar Bogenschießen, aber unter Wasser musste man anders zielen, und eine Harpune war kein Bogen. Kim hatte noch nie eine Waffe in der Hand gehabt. Kurz vor dem Ende ihrer Übungszeit zog Idunaxane Lea und Carola Kim hinter einen Felsen. Lea drehte sich um.
„Was…?“, wollte sie ihre ozeanische Lehrerin fragen aber sie hielt ihr schnell den Mund zu.
Kim? Was wird das?
Keine Ahnung!
Nach einer Weile wurden die Schülerinnen losgelassen.
„Vier Mitglieder der Allianz. Wenn sie uns gefunden hätten, hätten sie versucht, uns umzubringen!“, erklärte Carola.
Lea war erschrocken. Mal wieder war sie sehr aufgewühlt. Sie hätten versucht sie UMZUBRINGEN??? Wer sollte so etwas tun? Wieso sollte jemand es tun? Andererseits vertraute sie Carola und Idunaxane, warum sollten sie sie anlügen?
 
Als Viveca im Hauptquartier ankam warteten Finjai, Finntu und Shirly schon im Wasser auf sie. Dieses Mal hatte sie den Badeanzug auch unter ihre normale Kleidung gezogen.
Viveca stellte die Tasche, in der sie das Buch und die Tinte hatte, an den Rand des Raumes, dann sprang sie ins Wasser. Irgendwie hatte sie Angst, dass es mit der Doppellunge noch schlechter klappen würde als gestern, denn sie hatte die ganze Nacht Albträume davon gehabt. Aber Vivecas Papa sagte immer, wenn man vom Pferd fällt, soll man so schnell wie möglich wieder raufklettern, dann geht die Angst von alleine.
„Fertig?“, fragte Finjai.
Sie nickte, atmete aus und tauchte unter.
„Ruhig atmen!“, rief Shirly ihr zu. Diesmal klappte es schon viel besser und sie konnten losschwimmen. Im Wasser fühlte Viveca sich frei, als wäre sie schwerelos.
Sie veranstalteten Lehrer-Schüler Wettschwimmen über verschieden lange Distanzen, aber nach ungefähr einer Stunde mussten sie wieder aus dem Wasser, weil Shirly befürchtete, Viveca könnte sich erkälten und weil sie ihre Kondition vorsichtig aufbauen wollte.
Diesmal kamen auch Finjai und Finntu ganz aus dem Wasser. Jetzt kam ein weiterer, theoretischer Teil, den Viveca und Finntu auch in ihre Bücher schreiben und zeichnen mussten. Es ging um den Aufbau des Meeres. Finntu hatte natürlich mehr Ahnung davon als Viveca, aber im großen und ganzen gibt es wohl einen Teil, der langsam und sanft von der Küste aus abfällt und irgendwann kippt der Meeresboden dann weg, es geht steil runter in die Tiefsee.
Und auf den Grund da unten gibt es Gebirge, wie auf der Erdoberfläche auch.
Finjais Ausführungen waren noch viel genauer, aber eigentlich tut es nichts zur Sache.
Als sie fertig waren wollte sie nach Hause gehen, Shirly blieb noch bei Finjai. Viveca wollte den Helenenhof gerade verlassen, als ihr ein riesiger Mann mit kastanienbraunem Haar und Vollbart entgegenkam.
„Hallo Ferenec!“, begrüßte Shirly ihn.
„Viveca, dass ist Lord Ferenec, ein Mitglied des obersten Rats, Ferenec, das ist Viveca, meine Schülerin. Finntu ist schon weg“, stellte Shirly vor.
„Hallo Viveca“, brummte er. Sie konnte mir einen solchen Riesen irgendwie nicht so gut im Meer vorstellen.“
„Guten Tag Lord Ferenec“, erwiderte sie.
„Warst du schon auf dem Heimweg?“, fragte er sie.
Shirly sah ihre Schülerin beschwörend an, und formte mit den Lippen die Worte „Ja, Mylord“.
„Ja, Mylord“, sagte Viveca, woraufhin Shirly leise seufzte.
„Dann kannst du auch gehen.“
Sie ging also, auch wenn ihr nicht klar war, wieso sie dazu seine Erlaubnis brauchte.
Finntu? rief sie ihre Freundi in Gedanken.
Was ist los, Viveca? fragte sie.
Viveca erzählte ihr, was vorgefallen war, aber statt ihrr etwas zu erklären kicherte Finntu und meinte:
Frag Shirly danach, wenn wir wieder Unterricht haben!

Mission im Shixonmeer
 
Neben Finjai tauchte jetzt auch Lord Liviuo auf.
„Guten Tag, Mylord“, grüßte Shirly ihn.
„Hallo Papa!“
„Hallo Finjai, hallo Shirly, hallo Ferenec!”
“Hallo Liviuo!”
Shirly ließ sich ins Wasser gleiten, dann tauchten Finjai und sie ab. Es war viel schöner, mit Finjai zu schwimmen, ohne auf Viveca und Finntu achten zu müssen.
Tiefer! rief Finjai ihrer Freundin in Gedanken zu und sie folgten dem Verlauf des Meeresgrundes, bis es senkrecht in die Tiefe ging. Niemand schwamm so frei in die Tiefe hinunter, wie Ozeaner und Menschen mit doppelter Lunge. Ganz sanft schwebten sie durch das Wasser wieder nach oben.
Dann tobten Finjai und Shirly wie Delfine, machten Sprünge aus dem Wasser und schlugen Saltos.
Nach einer guten Stunde schwammen die beiden zurück zum Helenenhof.
Tschüss, Finjai!
Tschüss, Süße!
Shirly kletterte aus dem Wasser, trocknete sich ab und umarmte Finjai zum Abschied noch mal, dann verließ sie den Helenenhof.
Zu Hause machte sie Nudeln (es gab bei Familie Mirlen selten etwas anderes) für Ferenec und sich.
Als sie fast fertig war, kam er auch mit tropfendem Bart an und deckte den Tisch.
Shirly stellte die Nudeln in den Backofen, damit sie warm blieben und machte Käsesoße dazu, dann stellte sie beides auf den Tisch.
„Und, wie war dein Unterricht?“, fragte Ferenec.
„Ganz gut. Finntu stellt sich gar nicht so blöd an, und Viveca bekomme ich auch noch hin!“, erzählte Shirly lachend.
„Und wo wart ihr danach noch?“, erkundigte er sich.
„Finjai und ich waren nur noch ein bisschen tauchen, wieso?“
„Vielleicht ist euch etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
„Nein, eigentlich nicht, abgesehen von einem schönen Felsvorsprung, auf dem ich mit Finntu und Viveca weitermachen kann.“
„Was willst du denn mit ihnen machen?“
„Als nächstes bringe ich ihnen jonglieren bei“, erklärte sie.
„Jonglieren? Das gehört bei Sylvine zur Ausbildung? Wir Drei sind ja selten einer Meinung, aber jonglieren kommt mir nun doch sehr weit hergeholt vor.“
„Es trainiert die Koordination, und in vielen Fällen auch die Hartnäckigkeit“, erklärte sie gelassen.
„Da könntest du Recht haben“, gab Ferenec zu, „Kommt heute was Interessantes im Fernsehen?“
„Keine Ahnung“, gestand Shirly, die nicht unbedingt gerne vor dem Fernseher saß – das echte Leben war viel spannender!
 
Lea und Carola saßen am Strand und ließen die Füße ins Wasser hängen.
„Drück mir die Daumen. Ich habe morgen eine Mission!“, meinte Carola.
„Echt, was ist denn los?“, fragte ihre Schülerin.
„Im Shixonmeer liegt ein Wrack mit Informationen aus Atlantis und ein Archäologenteam oder so, will diese Informationen bergen. Mit der Atlantis-Technik könnten sie einen Krieg anfangen und sicher gewinnen, deswegen müssen wir das verhindern.“
„Viel Glück! Hoffentlich funkt die Allianz nicht dazwischen. Was musst du denn machen?“
„Wir hoffen ja, dass sie uns nicht in die Quere kommen, eigentlich ist es Yanniks Mission, ich bin nur zur Sicherheit dabei, mit dem Fernzünder für den Sprengstoff. Aber es ist insgesamt nur Tarnung für die endgültige Lösung“
„Was habt ihr denn noch vor?“
„Wir werden Gift benutzen um die Allianz auszuräuchern. Pass aus, was passiert!“
 
Abends fiel Viveca ein, dass sie keinen Termin für das nächste Treffen abgemacht hatten.
Finntu?
Viveca?
Wir haben gar keinen Termin abgemacht, wann wir uns noch mal treffen sollen.
Kein Problem, Viveca, ich kümmere mich darum versprach Finntu.
Danke!
Gute Nacht Viveca!
Gute Nacht!
Mitten in der Nacht wachte sie auf, wusste aber nicht warum. Der Wecker zeigte halb zwei.
Viveca!!!
Finntu?
Endlich! Ich rufe dich schon seit zehn Minuten!
Ich habe geschlafen.
Ich soll fragen, wann es dir am besten passt. Aber du sollst aufpassen, dass niemand etwas ahnt, Du sollst dich weiterhin mit Lea treffen!
Wie wäre Mittwoch nach der Schule?
Ich wartete fünf Minuten auf eine Antwort.
Viveca?
Finntu, was hast du so lange getrieben?
Finjai musste sich erst mit Shirly besprechen. Mittwoch klappt.
Gut, schlaf schön!
Ehe Finntu noch etwas erwidern konnte, war Viveca bereits eingeschlafen.
Am nächsten Morgen war sie noch total müde, als der Wecker klingelte. Die ganze Nacht lang hatte sie komische Sachen geträumt, über Ozeaner und Delfine.
 
 
Am Montagmorgen saß Shirly schon im Geschichtsraum, als Kyrillia mir einen Zettel zusteckte.
 
Lady Sylvine will uns in der großen Pause in ihrem Büro sehen. Sie sagt, es ist wichtig.
Kyrillia
 
Was konnte Lady Sylvine denn jetzt wollen?
In Geschichte ging es um das Mittelalter, besonders gut passte Shirly nicht auf. Ihre Eltern waren über die „ausreichenden“ Geschichtsnoten zwar nicht glücklich, aber sie konnte sich nun mal nicht für Dinge begeistern, die längst vorbei sind.
Nach einer langweiligen Doppelstunde Geschichte und einer Stunde Latein hatten sie große Pause.
Shirly machte sich gemeinsam mit Kyrillia auf den Weg ins Schulleitungsbüro.
„Was könnte sie jetzt wollen?“, fragte Kyrillia, aber ihre Freundin zuckte nur mit den Schultern und klopfte an die Bürotür.
„Herein!“, rief Lady Sylvine.
„Guten morgen Frau Neutal!“, begrüßten die Schülerinnen sie gleichzeitig.
„Hallo Kyrillia, hallo Shirly, ich habe eine Mission für euch, aber sie muss noch heute Vormittag laufen. Kriegt ihr das auf die Reihe, Mädchen?“
„Klar, was ist denn passiert?“, wollte Kyrillia wissen.
„Es soll eine archäologische Ausgrabung im Shixonmeer geben, an der auch Shirlys Eltern beteiligt sein werden. Das Projekt will das Schiff sprengen, weil es wichtige Informationen über Atlantis enthält. Es war schon jemand unten, der diese Beweise geborgen hat, aber das weiß das Projekt nicht. Shirly, du musst denjenigen ausschalten, der für die Sprengung zuständig ist, Kyrillia nimmt Gedächtnislöschungen bei allen Tauchern vor, die schon unten sind.“
Die beiden nickten, dann sagte Shirly:
„Ach, das hätte ich fast vergessen! Mein Onkel wollte noch mit Ihnen sprechen.“
Sie nickte und die Mädchen machten uns auf den Heimweg.
Lady Sylvine würde sich darum kümmern, dass die Lehrer sie nicht vermissen würden.
Shirly lief nach Hause und schloss die Tür auf.
Ferenec saß im Wohnzimmer an seinem Laptop. Er sah auf und fragte:
„Solltest du nicht in der Schule sein?“
„Ich muss ins Shixonmeer. Die brauchen gerade dringender Hilfe als die Lehrer.“
Damit spurtete sie in ihr Zimmer und holte die Tasche, die unter ihrer Matratze lag.
Finjai? fragte Shirly sie auf den Weg zum Helenenhof.
Ich weiß schon, wo’s hingeht. Beeil dich!
Bin fast da!
Zwei Minuten später riss sie die Tür zum Hauptquartier auf.
„Hallo Shirly!“, begrüßten Finjai und Romykary sie.
„Hallo ihr beiden“
Schnell zog Shirly sich um. Für Missionen gab es spezielle Anzüge aus einem Material, dass genau wie Haihaut war. Mit diesem Anzug und Taucherflossen konnte man unheimlich schnell schwimmen.
Shirly schnallte sich gerade die Tasche mit der Ausrüstung fest auf den Rücken, als Kyrillia hereinplatzte.
„Hallo!“, begrüßten die Drei sie gleichzeitig.
„Hallo! Ich beeile mich!“
Shirly glitt schon ins Wasser, und zusammen warteten sie auf das vierte Mitglied des Teams.
Kyrillia sprang ins Wasser und sie tauchten ab, in die Räume auf der Unterseite des Hauptquartiers. Hier war die Technik, die die Ozeaner erfunden hatten. Die Atlantis-Technik, wurde sie oft genant.
Das Team schwamm in den Teleporter, Kyrillia drückte einige Knöpfe, nach wenigen Sekunden waren sie im Shixonmeer angekommen. Und wie üblich war Shirly dabei schlecht geworden.
„Alles klar?“, erkundigte Kyrillia sich.
„Ja. Jetzt kommt, es sind drei Kilometer bis zum Wrack“, wies Shirly das Team an. Sie öffnete ihre Tasche und nahm die beiden kleinen Harpunen für Finjai und sich heraus. Kyrillia und Romykary rüsteten sich mit den Gedächtnispfeilen aus. Sie lösten sich auf, wenn sie einen Menschen trafen und löschten die letzten Stunden aus seinem Gehirn.
Mit Höchstgeschwindigkeit schwammen die Vier durch das klare Meerwasser zum Wrack, wo schon eine Junge, ein Ozeaner und fünf panische Taucher sich versammelt hatten.
Die armen Taucher schienen mehr Angst vor dem Ozeaner, und dem Jungen, der ohne Taucherausrüstung so lange unter Wasser blieb, als vor dem Dynamit zu haben. Diesen Trick kannten Shirly und ihr Team nur zu gut: Der Sprengstoff war 1:1 mit Magnesium vermischt und würde trotz des Wassers hochgehen.
Der Ozeaner suchte die Informationen, der Junge legte Dynamitstangen in einer langen Reihe über das Schiff. Das würde eine große Explosion geben, schoss Shirly durch den Kopf.
Du kümmerst dich um den Menschen, ich mache den Ozeaner platt! befahl Finjai.
Gut!
Sie schwamm auf den Jungen zu, der sie hämisch angrinste. Das war Yannik Klein aus der Oberstufe! Shirly hasste es, wenn sie ihre Gegner kannte. Denn selbst wenn sie das Gesicht nur wenige Male gesehen hatte war es fiel schwerer, den Agenten sauber auszuschalten. Erschwerend kam diesmal hinzu, dass Yannik die Zündschnur für eine ganze Menge Dynamit in der Hand hielt. Es blieb Shirly nichts anderes übrig, als ihre Kräfte einzusetzen. Jedes Mitglied der Allianz hat eigene Kräfte. Sie selbst konnte Menschen betäuben und im schwächsten Dämmerlicht, in den Tiefen des Ozeans noch etwas sehen, aber von der ersten Fähigkeit machte ich fast nie Gebrauch, von der Zweiten ständig. Jemanden einfach zu betäuben kam ihr so unfair vor, außerdem war es anstrengend.
Das alles raste Shirly im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, bevor sie sich konzentrierte. Finjai sagte, sie glitzerte beim Betäuben immer, aber da sie selbst die Augen schloss, wusste sie nicht, wie sie aussah, wenn sie es tat.
Shirly riss die Augen auf und sah Yannik bewusstlos im Wasser treiben.
Das Projekt setzte auch oft genug unfaire Mittel ein.
Schnell hob sie die Harpune und schoss einmal quer durch Yanniks Hals. Nummer eins war erledigt, also drehte sie sich um, um nachzusehen, wie es Finjai ging.
Die Szene, die ihr ins Auge sprang, war grauenhaft. Die Taucher hielten sich verstört aneinander fest, Romykary und Kyrillia kämpften gegen einen offenbar übermächtigen Ozeaner und Finjai trieb ohnmächtig im Wasser.
Schnell konzentrierte Shirly sich auf den Ozeaner, er sank betäubt einen halben Meter ab, bevor Romykary ihn mit einem Biss erledigte.
Die Kyrillia und die Ozeanerin kümmerten sich um die Gedächtnisse der Taucher und das Team verschwand, wobei Shirly Finjais schlaffen Körper trug. Sie konnte ihre Freundin in Gedanken nicht erreichen.
„Was ist passiert?“, fragte sie dann die beiden anderen.
„Sie hat ihn von hinten in den Nacken gebissen, aber der Kerl hat sich einfach umgedreht und sie irgendwie fertig gemacht. Das habe ich nur aus dem Augenwinkel mitgekriegt. Kyrillia und ich sind sofort hin geschwommen und haben uns um ihn gekümmert, aber dieser Ozeaner war unglaublich. Keine Ahnung, wie der so stark werden konnte“, berichtete Romykary. Shirly machte sich große Sorgen um Finjai. Ihr Bauch tat weh und mein Herz schlug schneller.
Plötzlich schwammen sie in den Strahl des Teleporters und waren sofort wieder im Helenenhof.
Kyrillia stieg aus dem Wasser, um Lady Sylvine zu erzählen, was passiert war, Romykary und Shirly kümmerten sich um Finjai. Natürlich mussten sie das unter Wasser tun, denn bewusstlos konnte man die Lunge nicht wechseln. Romykary sicherte sie in untern Helenenhof gegen die Strömung ab, sonst würde sie wegtreiben, und Shirly versuchte, ihren Geist zu erreichen. Mehr konnten die beiden nicht für ihre Freundin tun. Kyrillia konnte Gedanken lesen und den Teleporter bedienen, Shirly im Dunklen sehen und betäuben, Romykary hatte manchmal Visionen und kann mit Menschen, die sie oder Kyrillia berühren in Gedanken kommunizieren, aber Finjai ist die einzige von ihnen, die heilen konnte. Außerdem konnte sie, nur indem sie jemanden berührt, sagen, welche Gaben er besaß.
Wenn Finjai in Gedanken zu erreichen war, dann war sie weit genug bei Bewusstsein, um sich selbst unbewusst zu heilen.
Aber so sehr Shirly auch nach ihrem Geist suchte, egal wie lange sie stumm nach ihr schrie, Finjai war weg.
Ihr Körper lebte gerade noch, aber ihr Geist war nicht zu finden. Und ihr Körper wurde immer schwächer.
Wütend erklärte Romykary: „Shirly, Finjai stirbt, wenn nicht gleich etwas passiert!“
Shirly brach in Tränen aus, Romykary legte den Arm um sie. Beide hatten solche Angst um Finjai. Es war grauenhaft! Finjai war seit Jahren immer bei Shirly gewesen, egal was geschah. Mit ihr teilte sie ihre Gedanken, ihr Tod wäre für Shirly einfach nicht zu ertragen.
Plötzlich hörten wir, dass ein Ozeaner in den Helenenhof schwamm. Es war Lady Runaverieill, und sie war Heilerin!
Shirlys ehemalige Lehrerin kam zu den Dreien geschwommen und legte die Hand auf Finjais Brust. Plötzlich wurde auch Romykary neben Shirly bewusstlos. Erschrocken schrie sie auf und Lady Runaverieill nickte Shirly zu, um ihr zu sagen, dass sie mitbekommen hatte, was passiert war. Nach fünf Minuten hörte sie ganz leise Finjais Stimme in ihrem Kopf.
Shirly?
Finjai, du lebst!
Gerade noch. Das war aber mal reichlich knapp Süße. Ich muss den Rest selber machen, damit Lady Runaverieill sich um Romykary kümmern kann.
Gut.
Shirly ließ Finjai mit ihren Gedanken allein, sie musste sich zum Heilen konzentrieren, wenn sie bei Bewusstsein war.
Plötzlich kam Kyrillia angeschwommen. Als sie Romykary sah, erschrak sie furchtbar und schrie. Shirly tauchte zu ihr und umarmte sie, denn sie konnte verstehen, wie Kyrillia sich fühlen musste.
Im selben Moment schlug Finjai die Augen auf.
„Was ist passiert?“, fragte sie. Als sie Lady Runaverieill und die bewusstlose Romykary bemerkte fragte sie: „Kann ich helfen, Mylady?“
„Nein, Finjai, du bist noch zu schwach dafür, und ich bin sowieso fast fertig mit Romykary.“
Finjai schwamm zu Shirly und umarmte sie.
„Was ist passiert?“, fragte Shirly durch eine Wolke aus blonden und schwarzen Haaren.
„Ich weiß nicht. Der Kerl war unglaublich stark, dann hat er mir eine Spritze verpasst, und dann kann ich mich an nichts mehr erinnern. Wie ist die Mission ausgegangen?“
„Ich habe Yannik erledigt, dann haben wir zu Dritt den Ozeaner ausgeschaltet und sind zurückgekommen.“
„Was ist mit dem Dynamit?“, fragte sie. Kyrillia und Shirly sahen sich an.
„Scheiße!“, rief Kyrillia.
„Ich gehe schnell zurück und erledige das“, bot ich an.
„Ich komme mit“, warf Finjai ein. In diesem Moment wachte auch Romykary auf, war aber zu schwach um etwas zu sagen. Shirly bemerkte, dass Kyrillia und sie sich in Gedanken unterhielten.
„Finjai kann nicht gehen“, stellte Lady Runaveriell klar, „Ihr beiden seid vergiftet worden, Finjai wurde zusätzlich ein Betäubungsmittel gespritzt, damit sie sich nicht heilen konnte. Sie sah Shirly strafend an. Das war nun wirklich ein peinlicher Fehler gewesen.
Kein Ozeaner schwimmt in den nächsten Stunden zum Wrack.“
„Dann gehen wir beide“, verkündete Kyrillia.
Zusammen schwammen die Mädchen zum Teleporter. Shirly wurde wieder schlecht, aber langsam gewöhnte sie sich doch daran. Na ja, nach sechs Jahren war wohl auch langsam Zeit dazu.
„Ich sammle das Dynamit ein, du löschst die Gedächtnisse, falls jemand da unten ist“, schlug Shirly vor.
Die beiden schwammen zum Wrack, aber sie waren zu spät. Im Shixonmeer lagen nur noch die Überreste eines Wracks.
„War das eine Fernzündung?“, fragte Kyrillia.
„Keine Ahnung.“
Shirly hatte Angst. Was wenn ihre Eltern unten gewesen waren, als das Schiff explodierte?
„Kyrillia, ich muss sofort Nachrichten gucken!“, rief sie.
„Wieso?“
„Mädchen, meine Eltern haben hier gearbeitet, schon vergessen?“
„Scheiße, lass uns zurückschwimmen!“, rief Kyrillia entsetzt.
Shirly sah in die Richtung, in die sie zeigte. Dort kamen sechs Ozeaner und sechs Menschen auf sie zugeschwommen, und sie sahen nicht so aus, als gehörten sie zur Allianz.
So schnell die Mädchen konnten tauchten, sie in den Strahl des Teleporters und verschwanden.
Im Helenenhof war inzwischen schon eine ganze Versammlung zusammengekommen.
Finjai und Romykary schliefen, Lord Liviuo stritt sich mit Lady Sylvine, Lady Runaveieill diskutierte mit Shirlyss Onkel Ferenec, und einige Menschen und Ozeaner, die sie nicht kannte, oder von denen sie bisher nicht wusste, dass sie zur Allianz gehörten, saßen oder schwammen ratlos überall im Helenenhof.
„Was ist los?“, erkundigte Kyrillia sich bei niemandem Bestimmten gleichzeitig erzählte Shirly Finjai:
Wir waren zu spät, ich muss sofort Nachrichten gucken. Meine Eltern könnten während der Explosion unten gewesen sein!
Ganz ruhig, Süße, hör dir erst an, was los ist!
„Was ist los?“, fragte Kyrillia erneut.
Lord Liviuo und Lady Sylvine schwammen zu Shirly, Kyrillia, Romykary und Finjai herüber.
„Das Projekt hat alle seine Ozeaner vor zwei Minuten in Sichere Gewässer gebracht. Sie vergiften alle Meere. Wir versuchen, so viele Ozeaner wie möglich zu evakuieren, ohne die Identität der Allianz preiszugeben. Wir wollen ein Treffen des obersten Rates abhalten, Lord Uriel müsste auch gleich ankommen, aber Lord Fynnos ist in Atlantis und niemand erreicht ihn“, berichtete Lady Sylvine ihnen.
„Warum schickt ihr niemanden, um ihn zu suchen, Mylady?“, erkundigte Kyrillia sich.
„Nach Atlantis könnten wir nur einen Ozeaner schicken, aber bei uns wirkt das Gift viel zu schnell, als dass wir Fynnos dort suchen könnten“, erklärte Lord Liviuo.
„Ich gehe ihn suchen!“, mischte Finjai sich ein.
„Was? Finjai, du wirst sterben!“, rief Lady Sylvine.
„Ich kann mich heilen!“, behauptete Finjai.
„Dazu bist du zu schwach und das Gift ist zu schnell. Du hast vorhin nur eine kleine Menge abbekommen, und außerdem müsstest du dich ständig selbst heilen, und Lord Fynnos auch, denn er wird inzwischen im Sterben liegen!“, erklärte Liviuo.
„Wir haben da draußen sechs Ozeaner getroffen, die immun gewesen sein müssen“, warf Shirly ein.
„Was?“, fragte Ferenec, der zu ihnen gestoßen war.
„Dazu haben wir keine Zeit!“, mischte sich auch Lady Runaverieill ins Gespräch, „Wir müssten einen menschlichen Heiler schicken, und davon haben wir keinen!“
„Doch, das haben wir, Mylady“, widersprach Finjai.
„Wen denn?“, erkundigte Liviuo sich.
„Viveca“, meinte Finjai.
„Finjai, sie hat noch keine Ahnung!“, rief Shirly erschrocken.
„Uns bleibt nichts anderes übrig. Viveca geht, zusammen mit Shirly!“, meinte Finjai.
„Ich rufe sie, auch wenn ich keine Ahnung habe, was hier läuft“, erklärte Finntu sich bereit.
„Das ist unverantwortlich!“, beharrte Ferenec, aber er wurde vom Rest des Rates überstimmt. Das Leben eines Ratsmitgliedes, eventuell auf kosten der Geistigen Gesundheit einer Schülerin. Die Allianz forderte Opfer…
 
Viveca?
Finntu?
Komm sofort in deinen Badesachen zum Helenenhof, es geht um Leben und Tod!
Viveca zog meine Badesachen unter meine normalen Klamotten und rannte zum Helenenhof.
Dort war ein Menschen- und Ozeanerauflauf versammelt.
Finntu und Shirly kamen auf sie zu.
„Schnell Viveca, du musst mit mir zusammen auf deine erste Mission, Finntu kann nicht mit, ich erkläre es dir unterwegs!“, rief ihre Lehrerin ihr zu. Sie zog Jeans und Pullover aus, dann glitten die beiden ins Wasser. Shirly schwamm mit ihrer Schülerin in einen Raum unterm Helenenhof, den diese nicht kannte.
Alles war voller seltsamer Maschinen.
Shirly zog sie in eine Art Fahrstuhl und Kyrillia, die ihnen gefolgt war, drücke einige Knöpfe.
„Achtung!“, rief Shirly.
Es fühle sich an wie eine Achterbahnfahrt, die nur Sekunden dauerte.
Die beiden befanden sich plötzlich irgendwo im offenen Meer und Shirly erzählte Viveca etwas über ein Gift im Ozean, und ein Mitglied des obersten Rates, das in Lebensgefahr schwebte.
Sie erzählte, dass jedes Mitglied der Allianz zwei Kräfte hatte, die anscheinend wie Zauberkräfte funktionierten.
Viveca sollte dieses Mitglied des obersten Rates heilen.
Irgendwie glaubte sie nicht, dass sie das konnte. Doch ehe Viveca diesen Gedanken zu Ende denken konnte sah sie es: Atlantis!
 
Kim?
Lea? Ich hab’s überstanden. Ein bisschen was habe ich abbekommen, aber das hat Idunaxane wieder hingekriegt. Das Projekt ist außer Gefahr, der Rest der Meere ist vergiftet!
Aber… Kim, sterben dabei nicht auch Unschuldige?
Unschuldige? Das Gift wirkt nur bei Ozeanern, Lea, hab ich dir doch schon zweimal erzählt!
Unschuldige Ozeaner, meine ich, die nicht zum Projekt und nicht zur Allianz gehören, die sterben doch, oder? Und sie können nichts dafür, Kim, sie sind Unschuldig!
Lea?!? Wir haben einen Weg gefunden, die Allianz ein für allemal auszuschalten, und du meckerst auch noch. Also wirklich, der Gerechtigkeit müssen Opfer gebracht werden!
Gerechtigkeit nennst du das? Weißt du WIE VIELE Ozeaner da draußen sterben!?!
Nein, es ist mir auch egal! Der Zweck heiligt die Mittel!
Ich glaub es nicht! entrüstete Lea sich, dann entzog sie sich der Verbindung. Dieses Gespräch hatte keinen Sinn mehr. Das war die „endgültige Lösung“ von der Carola gesprochen hatte? Das war brutal und definitiv der falsche Weg, zu einem Ziel, über dessen Richtigkeit Lea jetzt ernsthaft nachzudenken begann.

 
Atlantia
 
Eine Stadt. Aber es war viel mehr als eine Stadt. Das war ein Wunder, Atlantis war rund. Die Grundfläche der Stadt war ein Kreis und die Dächer bildeten eine Halbkugel. Genau in der Mitte stand der Tempel der Wissenschaften, das höchste Gebäude, und je weiter man zum Stadtrand kam, desto flacher waren die Häuser. Von oben, gut hundert Meter über der Stadt, sah ich, dass die Dächer mit Gold, Silber und mit Muschelschalen gedeckt waren, sodass man konzentrische Kreise in der Reihenfolge: Gold, Muscheln, Silber, Muscheln, Gold… erkennen konnte.
Das kuppelförmige Dach des Tempels, das den Mittelpunkt aller Kreise bildete, war aus Glas. Man konnte die Ozeaner im Gebäude sehen. An einem schönen Tag wäre es sicher einfach nur umwerfend schön hier gewesen, doch jetzt sah man überall tote und sterbende Ozeaner.
Wir schwammen in die Stadt hinein. Die Straßen waren mit Muscheln gepflastert, die nicht zerbrachen, weil man in Atlantis schwamm, statt zu laufen.
Nie sah man eine weiße oder graue Hauswand. Viveca hatte das Gefühl, jedes Haus wäre in einer anderen Farbe gestrichen, aber nie bissen sich die Farben gegenüber oder nebeneinander.
„Viveca, ich finde es auch schön hier, aber wir müssen noch etwas erledigen!“, riss Shirlys Stimme sie aus ihrer Träumerei.
Finjai sagt Shirly wo ihr hinmüsst, folg ihr einfach! sagte Finntu in Gedanken zu mir.
Gut! erwiderte Viveca.
Sie schwammen ungefähr fünf Minuten so schnell es ging durch die wunderschönen Straßen, Viveca sah sich die ganze Zeit mit großen Augen um, bis Shirly die Tür eines mittelhohen Gebäudes aufriss und hineinschwamm.
Vor der Tür lag ein Ozeaner, offensichtlich war er schon tot. Shirly schüttelte den Kopf.
„Das ist nicht Lord Fynnos. Du suchst im hier im Erdgeschoss ich sehe mich oben um!“
Viveca sah, dass ein Loch in der Decke ins Obergeschoss führte.
Sie suchte alle Räume im Erdgeschoss ab, fand aber niemanden. Plötzlich hörte sie Shirly rufen: „Viveca, komm her!“
Schnell  schwamm sie zum Loch aber Shirly kam ihr schon entgegen, mit einem Ozeaner im Arm.
Sie schwammen nebeneinander aus dem Haus und Shirly sagte, Viveca solle ihre Hand auf den fast leblos hängenden Körper legen.
Er fühlte sich kalt an, und sie konnte nur noch einen unregelmäßigen, schwachen Puls fühlen.
„Stell dir vor, wie es in ihm aussieht!“, befahl Shirly.
Viveca stellte sich Blut vor, und eine Menge innerer Organe, aber da sie noch keine Ahnung vom Heilen hatte, waren sie total durcheinander gewirbelt. Plötzlich erschien ein Bild in ihrem Kopf, auf dem die Organe logisch zusammengesetzt waren. Sie nahm den Körper unter ihrer Hand war und auch das Gift darin, dass Lunge und Herz vom Arbeiten abhielt.
„Jetzt konzentriere dich darauf, ihm zu helfen!“
Viveca musste gleichzeitig schwimmen, das Bild nicht verlieren, eine Hand auf Lord Fynnos Körper halten und in heilen, obwohl sie das noch nie zuvor getan hatte.
Doch plötzlich bemerkte sie, wie das Herz anfing, wieder regelmäßig zu schlagen. Immer noch langsam und schwach, aber regelmäßig, aber dann wurde ihr klar, dass er dafür nicht mehr atmete. Sie hatte nur seine eigene Kraft auf sein Herz gelenkt. Erschrocken versuchte sie, ihm etwas von ihrer Kraft zu geben, aber es funktionierte nicht.
Sie konzentrierte sich sosehr sie konnte, und plötzlich gelang es ihr. Auf einmal floss die Kraft in ihn, aber Viveca konnte es nicht stoppen.
 
Viveca sah drei riesige Seepferdchen mit Vampirzähnen, eins hatte noch dazu menschliche Arme und spielte Trommel, eins spielte Bass und das dritte sang etwas.
Dann verlor sie das Bewusstsein
 
Shirly hielt mit der einen Hand den Ozeaner fest, mit der anderen ihre Schülerin. Sie kam nur im Schneckentempo voran und hatte das Gefühl, die Muskeln in ihren Beinen würden zerreißen, bevor sie den Teleporterstrahl erreichte. Ihre Lungern brannten und sie war kurz davor zusammenzubrechen, als sie den Strahl doch noch erreichte.
Der Rest des obersten Rates, Finjai und Finntu warteten auf sie.
Shirly wusste, dass sie ihren Auftrag erledigt hatte und brach erschöpft aber zufrieden zusammen. Lady Syvine fing sie auf, Lady Runaverieill kümmerte sich um Lord Fynnos und Finjai um Viveca, mehr bekam Shirly nicht mit, bevor sie von ihrer ehemaligen Lehrerin aus dem Wasser gebracht wurde und sofort einschlief.
 
Es war dunkel im Helenenhof, als Shirly aufwachte.
Finjai?
Shirly? Du bist wach? Gut!
Was ist passiert?
Du sollst zum obersten Rat nach Muschelea kommen, Kyrillia ist zuhause und Romykary ist hier, sie sagt ihr bescheid.
Was ist los?
Erfährst du in Muschelea!
Shirly wartete also ungefähr eine halbe Stunde, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, auf Kyrillia. Als sie endlich kam fragte sie:
„Wo warst du so lange?“
„Ich musste erst an meinen Eltern vorbeikommen, die haben noch Fernsehen geguckt. Was sollst du in Muschelea?“
„Wenn ich das wüsste!“, seufzte Shirly.
Sie sprang ins Wasser, Kyrillia zog sich aus, sie hatte einen Bikini drunter und folgte ihr dann zum Teleporter.
„Bis später!“, murmelte Kyrillia.
„Bis morgen!“, rief sie noch, dann war sie auch schon im Eingangsbereich von Muschelea.
„Hallo Süße!“, begrüßte Finjai Shirly.
„Hallo Finjai!“ Sie strich wie jedes Mal, wenn sie in Muschelea war, über die glatte, cremfarben -glänzende Innenwand der riesigen Muschel.
„Shirly und Finjai?“, erkundigte sich Lord Uriel, der gerade angeschwommen kam.
„Lord Uriel?“, erwiderten sie gleichzeitig.
„Kommt ihr bitte mit?“
Er schwamm auf die Wand aus kleinen Muschelschalen zu, die den Eingangsbereich vom eigentlichen Hauptquartier abtrennte. Wir schwammen durch das linke Loch in dieser Wand. Es führte in den Ratsraum, das rechte Loch führt in den Raum, in dem sich die normalen Mitglieder der Allianz treffen konnten.
Die Mitglieder des obersten Rats warteten schon auf uns, Lady Runaverieill versuchte gerade, Lord Fynnos zum stillhalten zu bewegen, damit sie prüfen konnte, ob er wirklich gesund war, Lady Sylvine redete auf Lord Liviuo und Ferenec ein, die offenbar gar nicht zu Wort kamen.
„Seit mal leise!“, schrie Lord Uriel.
Shirly hatte schon einmal ein Treffen des obersten Rats miterlebt und festgestellt, dass die sechs, die nach außen hin meistens irgendwie erhaben und immer einig wirkten, sich genauso benahmen, wie eine Schulklasse.
„Finjai, Shirly, was wir euch jetzt erzählen gehört zu den Geheimnissen des obersten Rats. Schwört ihr, niemandem davon zu erzählen?“, fragte Lady Sylvine feierlich.
„Ich schwöre“, antworteten sie beide gleichzeitig.
„Gut. Wir haben festgestellt, dass das Projekt zu immer drastischeren Maßnahmen greift, um uns auszuschalten, wie zum Beispiel dieses Gift“, begann Lord Liviuo.
„Wir befürchten, dass sie etwas sehr dramatisches tun könnten“, erklärte Ferenec.
„Atlantis wurde nach einem ganz besonderen Gegenstand benannt, dem Wasserschneckenhaus Atlantia. Sie hat bisher genau in der Mitte des Tempels der Wissenschaft gelegen, aber sie ist dort nicht mehr sicher. Da wir ihren genauen Stantort kannten, konnten wir sie herteleportieren, bevor das Projekt sie sich unter den Nagel reißen konnte. Atlantia war mit unseren Plänen einverstanden“, berichtete Lady Sylvine.
„Wie kann ein Schneckenhaus…?“, fragte Shirly irritiert.
„Wir wissen nicht wie, aber Atlantia kann in Gedanken mit jedem sprechen, wie du mir Finjai sprechen kannst“, erklärte Lord Fynnos.
„Mit jedem?“, fragte Finjai überrascht, bevor Shirly den Mund aufmachen konnte.
„Ja. Sie war einverstanden, dass wir für ihre Sicherheit sorgen. Ihr beide werdet ihr vorgestellt und sie entscheidet, wer ihre Hüterin wird“, erklärte Lord Uriel.
Lady Runaverieill hielt ein Schneckenhaus in der Hand.
„Wow!“, rief Shirly. Atlantia war etwa so groß wie eine Faust und golden. Was die beiden faszinierte, war ihre Ausstrahlung. Shirly sah sie nur an, doch sie hatte das Gefühl, einen Menschen anzusehen und irgendwie noch mehr.
Hallo Eligia! Shirly spürte ein Bewusstsein, wie sie sonst nur Finjais Bewusstsein fühlen konnte, aber das hier war viel größer, irgendwie mehr als Finjai.
Ich heiße Shirly.
Ich bin Atlantia. Du heißt Shirly, aber du bist Eligia, die Auserwählte.
Atlantia schwebte auf Shirly zu und schrumpfte auf die Größe eines Fingernagels. Langsam kam sie auf ihre Brust zu und ging, ohne eine Spur zu hinterlassen durch Shirly hindurch, bis sie sie in meinem Herz spüren konnte. Atlantia wärmte ihren ganzen Körper, da war plötzlich Kraft in Shirly, die sie noch nie gespürt, sich noch nicht einmal vorgestellt hatte.
 
Lea sah Carola in die Augen, die seltsam glitzerten, und von ihrer normalen, graublauen Farbe zu einem kalten Silber geworden waren. Lea erinnerte sich auf einmal, sie wurde hypnotisiert, um das Projekt nicht zu hinterfragen. Sie durfte nicht in Carolas Augen schauen, durfte nicht…
„Lea, hör mir zu“, sagte Carola sanft.
So sanft, sanfte Stimme, schöne Augen, unwiderstehlich. Süße Worte. Süße Lügen…
„Lea, du hast dich geirrt, das Projekt will nur Gutes tun, die Könige wollen nur helfen. Das Projekt tut das richtige. Sie haben den Weg gefunden, wie sie die böse Allianz ausschalten können. Es hat nicht geklappt das ist schade, aber es ist der richtige Weg.“
Süße Stimme, so süße Worte, so leicht zu glauben, so leicht das Gewissen rein zu halten…
„Lea, die Könige tun das Richtige“
Oh, süße Worte, süße Wahrheit…
„Das Projekt tut das Richtige“
Wahrheit…
„Es nimmt immer die richtigen Wege, tut immer das Richtige“
Carola sagte immer die Wahrheit…
„Stell nie mehr fragen, Lea! Du darfst die Könige und das Projekt nicht kritisieren. Sie werden das Richtige tun. Das Projekt wird immer das Richtige tun“
„Das Richtige“, murmelte Lea mit gleichmäßiger Stimme.
„Das Projekt tut immer das Richtige. Stell keine Fragen Lea, sag es, denk es, handle danach, Lea“
„Das Projekt tut immer das Richtige“, erklang Leas monotone Stimme.
„Genau Lea. Du hast es verstanden, liebes Mädchen. Vergiss es nicht wieder.“ Der Zauber verflog, Lea starrte mit leicht glasigem Blick in die blaugrauen Augen ihrer Freundin.
„Was hast du gesagt, Carola?“, fragte sie wieder mit normaler Stimme.
„Bist du dir sicher, dass das Projekt das richtige getan hat. Immerhin hat es nicht geklappt und viele Unschuldige sind gestorben!“, meinte Carola.
„Sag so was nicht, Carola, das Projekt macht keine Fehler, es tut immer das Richtige!“
„Du hat ja Recht…“, sagte Carola und lächelte. So gefiel ihr ihre Schülerin fiel besser. Keine Fragen, kein Denken, nur tun, was die Könige befehlen.
 
Am nächsten morgen traf Viveca Lea am Schuleingang.
„Hallo Viv!“, rief sie.
„Hallo Lea!“
Die beiden umarmten sich.
„Gestern hatte ich total viel Stress mit Papa. Ich bin immer noch total fertig!“, erzählte Viveca ihrer Freundin. Sie war wirklich fertig, aber eigentlich war das wegen der Mission. Viveca hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie es Lea nicht sagen konnte.
„Viv, ich hab ständig versucht, bei dir anzurufen, wo warst du?“, fragte Lea mit leicht veränderter Stimme.
„In der Eisdiele“, erklärte Viveca. Lea würde nie freiwillig in die Eisdiele gehen, denn sie hasste alles dort.
„Hattest du kein Handy dabei?“
„Nein Lea, der Akku war leer. Weißt du, Papa hat total Stress wegen der Lateinarbeit gemacht…“
Sie unterhielten uns den ganzen Tag, Vivecas schlechtes Gewissen wurde immer schlimmer, weil sie Lea anlog, und auch, weil sie in Latein wieder nicht aufpasste, aber sie fühlte sich besser. Gut, dass es Lea gab!
„Treffen wir uns heute bei mir? Jonas ist weg!“, schlug sie in der letzten Stunde vor.
„Nee, tut mir Leid, ich hab Carola versprochen, mit ihr Tennis zu trainieren, weil doch in zwei Wochen das Halbfinale ist, und sie ist schon so weit gekommen…“
„Viveca?“, fragte auf einmal Herr Lens, unser Geschichtslehrer.
Carola flüsterte Viveca etwas zu, das sie nicht verstand. Aber Herr Lens hatte leider viel zu scharfe Ohren und sagte nur: „Danke Carola, aber das hätte Viveca uns doch bestimmt selber sagen können.“
Den Rest der Stunde waren Lea und Viveca dann relativ still.
Sie wollte nur ihre Sachen in den Spind knallen, doch sie fand einen Zettel von Shirly.
 
Helenenhof, 16:30? Warte auf dich. Wenn du nicht kannst, ist das auch nicht schlimm. S.
Eligia?
Shirly war gerade auf dem Weg zum Helenenhof, als Atlantia sich bei ihr meldete.
Was ist los?
Viveca wird in Schwierigkeiten geraten.
Was?
Deine Schülerin wird Probleme bekommen. Ich weiß es, aber ich weiß nicht, was für Probleme, oder wie sich abgewendet werden könnten, aber sie wird Probleme bekommen. Warne sie!
Wie? Ich darf nichts von dir erzählen!
Warne sie! Dann war Atlantia wieder still, und ich konnte sie nicht erreichen.
Im Helenenhof traf Shirly dann Viveca, Finjai und Finntu.
„Hallo ihr Drei!“
„Hallo Shirly!“, begrüßten sie sie.
„Also, wir müssen die Ausbildung wohl jetzt ein bisschen ändern, weil ihr normalerweise noch gar nichts von euren Kräften wissen solltet“, erklärte Finjai.
„Ich tauche ein bisschen mit dir, Viveca, und bring dir vernünftig Heilen bei“, bot sie an, „Shirly hilft Finntu, ihre Kraft zu finden.“
Geruchssinn und Heilen! Finjai sagte ihrer Partnerin, welche Kräfte Finntu hatte, denn sie konnte es fühlen, und wenn Shirly es schon wusste, konnte sie ihr besser helfen.
Sicher? Viveca ist doch auch Heilerin! erkundigte sie sich. Es kam fast nie vor, dass beide Partner dieselbe Kraft hatten.
Ich war am Anfang auch irritiert. Vivecas zweite Kraft hat mich auch überrascht: Sehkraft, genau wie bei dir!
Es war wirklich erstaunlich.
 
Finjai tauchte mit Viveca ab und Shirly setzte sich mit Finntu in einen Raum im Helenenhof.
„Mach die Augen zu, Finntu, atme ganz langsam und versuch, nichts zu denken.“
Sie wartete, bis ihre Schülerin entspannt war.
„Stell dir deinen Geist vor, und dann suchst du deine Kraft.“
Shirly konnte nichts anderes tun, als ihr zu erklären, wie sie ihre Kraft finden konnte. Viveca hatte es unglaublich schnell geschafft, Lord Fynnos zu helfen, aber normalerweise dauerte es lange, bis man seine Kraft finden konnte. Diesen Prozess konnte man einfach nicht abkürzen.
Shirly?
Finjai, was ist los?
Ich weiß nicht. Es fällt Viveca unglaublich schwer, als hätte sie ihre Kraft noch gar nicht gefunden. Und dabei hat sie so gut angefangen… Finjai wirkte so nervös, wie Shirly sie noch nie erlebt hatte.
Warum regst du dich so auf? Sie hat ja gar nicht gelernt, sie zu suchen.
Stimmt, sie hat sie einfach gefunden, vielleicht ist das das Problem.
 
 
„Mach die Augen zu und entspann ich, Viveca“, sagte Finjai.
Sie versuchte, sich zu entspannen, aber sie konnte nicht. Viveca hatte Angst. Vielleicht würde ich jedes Mal ohnmächtig werden, wenn ich jemanden heilen sollte. Vielleicht würde sie jedes Mal Wahnvorstellungen haben?
„Du bist zu verkrampft. Warte mal kurz hier!“, behauptete Finjai.
„Letztes Mal, als ich es versucht habe, hatte ich Wahnvorstellungen und bin ohnmächtig geworden. Wie kann ich NICHT angespannt sein?“
„Warte!“, rief Finjai und schwamm weg.
Verwirrt sah Viveca sich um, bis ihre Lehrerin mit einem ganzen Arm voll langen, dunkelgrünen Algen zurückkehrte.
„Was wird das denn?“, fragte Viveca erstaunt.
„Die flechten wir jetzt“, Finjai drückte ihr einige Algen in die Hand und sie begann sie zu flechten. Die langen Algenfäden schienen kein Ende zu nehmen, denn Finjai knotete immer neue Pflanzen an die Enden der Bänder.
„Denk nicht übers flechten nach“, flüsterte sie.
„Lass deine Gedanken strömen, ohne sie zu beeinflussen, lass dich von ihnen treiben, bis sie still werden.
Mir ging alles mögliche durch den Kopf, sich davon treiben zu lassen war, wie sich von einer Stromschnelle treiben zu lassen, aber langsam entfernte Viveca sich wirklich von diesen Strömschnellen und irgendwann waren ihre Gedanken nur noch ein kleines Rinnsal.
Dann war ihr Kopf leer, sie dachte nichts mehr.
Finjai nahm ihre Hand und legte sie auf eine Alge, die noch im sandigen Meeresgrund wuchs.
„Lass ein bisschen Kraft in sie strömen, nur ein bisschen, gaaaaaaaaanz, gaaaaaaaaaaaanz langsam.“
Viveca versuchte es, genau wie bei Lord Fynnos, und genau wie beim letzten Mal sprudelte die Kraft aus ihr heraus, bis Finjai ihre Hand von der Alge riss, die in wenigen Sekunden zwanzig Zentimeter gewachsen war. Die Ozeanerin legte die Hand auf Vivecas Arm und ließ ihre Kraft in sie sickern, ganz langsam, wie sie gesagt hatte.
„So muss es sich anfühlen, gaaanz langsam, ja?“
Viveca nickte.
„Nochmal!“, befahl Finjai dann. Sie war offenbar erleichtert, dass Viveca jetzt wenigstens wieder an ihre Kraft herankam.
Dann ging das ganze Spiel von vorne los. Gedanken strömen lassen, bis sie versiegen, und dann die Kraft auf die Alge übertragen.
Immer wieder von vorne. Sie hatte keine Ahnung, wo Finjai die Kraft hernahm, die sie ihrer Schülerin immer wieder gab.
Dann, Viveca hatte lange aufgehört, die Versuche zu zählen, gelang es ihr.
Sie ließ die Kraft ganz langsam und vorsichtig in Alge strömen.
Es war eine regelrechte Erleuchtung.
„Sehr gut. Jetzt stopp es!“, rief Finjai glücklich.
Sie versuchte, das Rinnsal, das ihren Körper verließ aufzuhalten, aber sie schaffte es nicht.
„Wie viel ist 7 mal 27?“, fragte Finjai.
270 durch 2 ist 135. Dann noch 2 mal 27 ist… 54, zusammen… 189, dachte Viveca nach und spürte dabei, dass während sie sich auf Mathe konzentrierte, meine Kraft aufhörte, sie zu verlassen.
„189“, sagte sie, „Wieso?“
„Du musst dich konzentrieren, um deine Kraft einzusetzen. Wenn du dich auf etwas anderes konzentrierst, dann hört deine Kraft auf, zu strömen. Jetzt schwimmen wir aber mal wieder nach oben! Ich glaube, dir ist klar, dass du noch nicht alleine damit herumexperimentieren solltest?“
„Na klar, das ist mir zu gefährlich“, meinte Viveca.
„Mir ging es nicht so, als ich angefangen habe. Ich hab ständig damit herumgespielt und bin mehrmals fast dran gestorben…“
 
Finntu schaffte es noch nicht, ihre Kräfte zu finden, aber das ist am Anfang nicht ungewöhnlich. Als die beiden weg waren, sagte Finjai:
„Shirly, du hattest Recht“
„Ja, immer, meinst du etwas Spezielles?“, fragte Shirly grinsend.
„Sehr lustig, Süße. Du hast gesagt: „Das Leben eines Ratsmitgliedes, eventuell auf kosten der Geistigen Gesundheit einer Schülerin.“ Na ja, zumindest gedacht hast du’s ziemlich auffällig. Viveca hatte Wahnvorstellungen, hat sie mir gesagt.“
„Shit!“, rief Shirly und erzählte Finjai dann ausführlich von Atlantias Warnung.
„Ich finde, du solltest Viveca warnen, ohne ihr von Atlantia zu erzählen“, meinte Finjai.
„Na gut, wenn alle das so wollen, mach ich es halt.“
Wirklich begeistert war sie davon aber nicht.
„Bis später, Finjai!“, verabschiedete Shirly sich.
„Bis später. Ich finde, wir fangen nächstes Mal trotzdem an, den beiden jonglieren beizubringen.“
„Okay, ich bring die Bälle mit“, versprach Shirly.
Finjai tauchte ab und wollte den Helenenhof verlassen.
Warte Eligia! meldete Atlantia sich.
Nächstes Mal warnst du sie!
Ja, ich wollte es nur erst mit Finjai besprechen verteidigte Shirly sich .
Du musst jetzt auch noch etwas üben.
Was denn?
Die Kräfte der Hüterin, natürlich! sagte Atlantia.
Danke für die Erklärung! meckerte Shirly.
Das will ich dir ja gerade beibringen! Wenn du schon alles wüsstest, dann bräuchte ich es dir ja nicht erklären, also sei nicht immer so ungeduldig! Und jetzt streck deine Arme nach vorne, mit den Handflächen nach vorne! Die Finger musst du dabei spreizen.
Shirly tat was sie sagte, kam sich aber ziemlich blöd dabei vor.
Jetzt konzentrier dich auf die zerstörende Energie.
Auf was??? fragte Shirly, woraufhin Atlantia ihr ein Bild zeigte, zwei Hände, genauso nach vorne gestreckt wie ihre, aus denen jeweils ein Stahl blauer Energie hinaus schoss.
Sie konzentrierte sich auf das Bild und bemerkte, wie ihre Handflächen zu kribbeln begannen.
Die Energie, die aus ihren Händen schoss, war weiß, wie ein Lichtstrahl.
Sie verbrannte Shirlys Hände und riss die Mauer des Helenenhofs nieder.
So stark war noch keine von… äh, keine der Hüterinnen! meinte Atlantia sichtlich zufrieden.
Meine Hände! beschwerte Shirl sich. Sie waren total verbrannt und taten weh, allerdings nicht so schlimm, wie sie erwartet hatte.
Sieh zu! befahl Atlantia.
Shirly starrte ihre Hände an.
Was soll das?!? giftete sie Atlantia an. Ihre Hände sahen aus wie Steaks und Atlantia sagte nur, sie solle sie ansehen!!! Dann passierte es: Innerhalb von Sekunden heilten die Hände, genau wie bei Finjai, die sich selbst unbewusst heilte.
Wie kann das sein? Ich bin doch keine Heilerin!
Du bist Hüterin. Jetzt bau den Helenenhof wieder auf!
Wie?
Wieder zeigte Atlantia ihr ein Bild in ihrem Kopf. Diesmal war es eine Hand, aus der ein dünner Strahl pinkfarbener Energie kam und ein Haus wieder aufrichtete.
Shirly probierte es aus, und diesmal verbrannten ihre Hände nicht.
Erzähl niemandem davon! Unsere… Die Kräfte der Hüterin dürfen nur im Notfall eingesetzt werden! ermahnte Atlantia sie.
 
Lea und Carola übten natürlich nicht Tennisspielen. Idunaxane und Carola warfen mit Tennisbällen nach ihren Schülerinnen, die den Bällen ausweichen, und dabei nicht zusammenstoßen sollten.
Am Anfan klappte es überhaupt nicht, aber im Laufe der Stunde wurden die beiden immer besser.
„Super, ihr Beiden! Idunaxane, kannst du mit Kim üben, ich trainiere noch ein bisschen mit Lea!“
Die beiden Mädchen liefen und schwammen um die Wette, um Leas Kondition zu stärken, dabei lachten sie fast die ganze Zeit. Lea dachte nicht mehr daran, dass sie Viveca angelogen hatte, Carola war froh, dass Lea ihre Freundin war, aber das Projekt nicht mehr hinterfragte. Sie wünschte, sie müsste sie nicht so kontrollieren, denn Lea war eine gute Freundin für Carola geworden. Aber das Projekt war wichtiger. Das Projekt ging vor, es tat immer das Richtige. Carola hatte nicht vor, ihrem Onkel Aaron, einem der Vier Könige, in den Rücken zu fallen, sie würde nicht zusehen, wie jemand anderes es tat. Sie wollte Lea als beste Freundin, aber sollte sie das Projekt verraten, würde Carola sie behandeln, wie sie jeden Verräter behandelt hätte.



Der letzte Kampf
 
Ich hatte ein halbes Jahr lang Unterricht, Shirly trieb nach den Stunden, die sie und Finjai mir und Finntu gaben immer irgendetwas geheimnisvolles, bis wir drei zusammen auf die „erste“ Mission ging. Normalerweise währe es wirklich die erste, aber für mich war es schon die zweite Mission, an der ich teilnahm. Das Projekt wollte einen Teil des australischen Barriereriffs sprengen. Das würde eine Naturkatastrophe auslösen. Als ob die Natur nicht schon genug belastet wäre!
Ich bekam für die Mission einen Anzug und Taucherflossen aus künstlicher Haihaut und einen Tasche mit allen möglichen Ausrüstungsgegenständen.
Finjai, Finntu, Shirly, Romykary, Kyrillia und ich schwammen in den Teleporter, und Kyrillia schickte uns zum Riff.
Es war unglaublich! Eine ganze Welt, aus bunten Korallen, bewohnt von Fischen lag vor mir.
„Da lang!“, befahl Finjai und deutete nach links.
Nachdem wie zwei Minuten geschwommen waren begegneten wir zwei Menschen und drei Ozeanern.
„Das muss Marelle sein, ihre Partnerin ist gestoben“, erklärte Kyrillia uns.
Die fünf Mitglieder des Projekts waren alle damit beschäftigt, Sprengstoffrollen im Riff zu verteilen und bemerkten uns nicht. Ich gab Finntu ihre Harpune und nahm meine eigene, die anderen vier taten dasselbe.
„Finjai, du schwimmst mit Romykary und Finntu auf die andere Seite, Viveca, Kyrillia und ich kommen von hier, in zwei Minuten!“, flüsterte Shirly.
Die Ozeanerinnen schwammen dicht über dem Boden auf die andere Seite der Projektmitglieder, während wir hinter einem Vorsprung im Riff warteten.
Wir lagen da und zählten die Sekunden, dann hob Shirly die Hand und zeigte drei Finger.
Drei
Zwei
Eins
Los!
Wir schossen wie Torpedos auf die fünf Projektmitglieder zu, Finntu, Finjai und Romykary kamen von der anderen Seite.
Plötzlich erkannte ich einen der Menschen. Es war meine beste Freundin, Lea.
„Komm, Kim!“, rief sie, alle Fünf wichen uns nach oben aus, Marelle war allerdings nicht schnell genug, Finjai erwischte sie mit einer Harpune.
In meinem Kopf war auf einmal alles ausgeblendet. Vielleicht mussten wir dasselbe mit Lea machen!
 
Ich bemerkte, wie Viveca sich versteifte und plötzlich anhielt. Finntu sah mich hilflos an, wahrscheinlich konnte sie ihre Partnerin nicht erreichen, aber darum konnte ich mich im Moment nicht kümmern.
Finjai, kümmere dich um Viveca, Romykary soll sich um Finntu kümmern!
Machen wir!
Kyrillia und ich erledigten ein Paar des Projekts noch problemlos, aber ein Mädchen und ihre ozeanische Partnerin entkamen uns.
Finjai, bring die beiden zum Helenenhof!
Sie nickte und ich rief: „Kyrillia, Romykary, wir kümmern uns um den Sprengstoff!“
Das Riff war schnell wieder ungefährlich, wir machten uns gerade auf den Rückweg, als Finjai mich rief.
Shirly?
Finjai?
Viveca hat einen Schock bekommen, weil das Mädchen, das entkommen ist ihre beste Freundin war. Finntu war mit ihr verbunden und ist dann rausgeflogen, aber das Gefühl hat sie auch ein wenig mitgenommen.
Wir sind gleich da.
Ich wusste, dass es schwer war, sich um Leute zu kümmern, die man kannte. Wie schlimm musste es erst sein, die eigene beste Freundin als Mitglied des Projekts zu erkennen!
Ich habe ja gesagt, dass sie Probleme bekommen würde! meldete Atlantia sich zu Wort.
Ganz toll. Sie wird tierisch glücklich sein, schließlich hat ja ein Schneckenhaus schon vorher gesagt, was passieren wird!, meinte ich wütend.
Eligia, du verstehst nicht, das hier ist erst der Anfang.
Was?
Vergiss es!
Damit war die Unterhaltung beendet. Ich war jetzt seit einem halben Jahr Hüterin und konnte sogar schon mit den Kräften umgehen, aber an Atlantias Seltsamkeit hatte ich mich noch nicht gewöhnt.
Wir wurden vom Teleporter zurückgeholt, Finjai empfing uns im Helenenhof.
„Viveca ist nach Hause gegangen. Sie wird schon damit klarkommen, Finntu geht es wieder gut, sie ist schon weg.
 
Am nächsten Tag in der dritten Stunde ertönte über die Sprechanlage:
„Alle Mitglieder des PZ bitte auf den Schulhof!“
Zwei meiner Klassenkameraden erhoben sich wortlos und gingen.
PZ… ?
 Was sollte PZ heißen??
Moment mal, PZ???
Projekt Zahnwahl? War das möglich? Ich musste es herausfinden und lief aus der Klasse und auf den Schulhof.
 
Ich kam als eine der letzten auf den Schulhof. Es war ein Bild des Schreckens. Die Mitglieder des Projekts standen auf der linken Seite des Schulhofs, die der Delfinallianz waren rechts.
Auf der linken Seite waren allerdings auch Lady Sylvine und Lady Runaverieill, die Hände auf den Rücken gefesselt und mit Messer an den Kehlen. Carola Schmied hielt die Schulleiterin fest, neben ihr stand Lea.
Wir waren viel weniger als sie, denn das Projekt hatte die kompletten Teams auf dem Schulhof, bei uns waren nur Menschen.
Finntu?
Ich erreichte sie nicht.
Finntu?
Wieder nichts.
Finntu, was ist los?
Immer noch nichts. Ich machte mir Sorgen. Plötzlich kamen eine ganze Menge Ozeaner vom Meer, angeführt von Finjai, unter ihnen war auch Finntu, die mich verwirrt ansah. Was war hier los?
„Gebt sofort auf, oder eure Rätinnen sind tot!“, rief ein Ozeaner des Projekts.
„Hört nicht auf sie!“, schrie Lady Runaverieill.
„Niemals!“, rief Shirly und alle begannen aufeinander loszugehen.
Ich hielt mich hinten, genau wie alle anderen Heiler, und kümmerte mich um die Verletzten unserer Seite.
 
Ich war ständig damit beschäftigt Leute zu betäuben und zu schießen, aber es sah schlecht für uns aus. Die Projektmitglieder waren besser vorbereitet als wir, und sie waren mehr. Außerdem nahmen sie unbeteiligte Schüler, die gucken wollten, was passierte und benutzten sie als Schutzschilde.
Ich sah, wie Romykary starb und schrie auf, als Atlantia mich plötzlich unterbrach.
Eligia, warte!
Was ist??? fragte ich nervös.
Atme ganz langsam und schließ die Augen!
Was??? Ich muss gerade kämpfen und es sieht übrigens nicht gerade rosig für uns aus! Meine Freunde sterben, Atlantia!
Tu was ich dir sage!
Mir war klar, dass mir nichts anderes übrig blieb und ich begann, ruhiger zu Atmen.
Gut! Entspann dich!
Das ist nicht ganz einfach, mitten in einem Kampf!
Es dauerte Minuten, bis Atlantia mit meiner Entspannung zufrieden war.
Fühle die Menschen um dich herum, ohne dich von ihnen beeinflussen zu lassen. Jetzt sag mir, was du fühlst!
Ich spüre die Personen. Ich berühre ihre Geister, wie bei Finjai und dir.
Gut. Stell dir einen Dolch vor, den du in ein Projektmitglied stößt!
Ich tat es, stieß mit einem eingebildeten Dolch in den Geist eines Menschen des Projekts, und dann fühlte ich seinen Geist nicht mehr.
Weiter! befahl Atlantia.
Ich tötete immer mehr Projektmitglieder, ohne sie auch nur anzusehen, sie waren nur noch halb so viele wie wir, als ich erschöpft zusammenbrach.
 
Ich schrie erschrocken auf, als ein Ozeaner die bewusstlose Shirly zu mir schleifte.
Finjai sah erst mich an, dann bemerkte sie, um wen ich mich kümmern sollte und lief zu mir und hockte sich neben Shirly. Vorsichtig legte sie die Hand auf Shirlys Brust.
„Nein!“, schrie sie, bevor sie das tat, was sie mir mühevoll abgewöhnt hatte: Sie ließ schnell all ihre Energie in ihre Freundin fließen, dann brach sie bewusstlos zusammen, doch Shirly rührte sich nicht.
Ich legte meine Hand ebenfalls auf ihre Brust, Finjais war weggerutscht, als sie umkippte. Das Bild, das vor meinen Augen entstand, verwirrte mich sehr. Shirlys Körper schien in Ordnung zu sein, nur hatte sie offenbar fast keine Energie mehr. Seltsam, mit Finjais ganzer Energie sollte sie einen erheblichen Überschuss haben, nie im Leben zu wenig. Ich bemerkte, dass sie fast zu schwach zum atmen war. Langsam ließ ich Energie in sie strömen. Plötzlich verstand ich, was Finjai passiert war. In meiner Lehrerin lebte etwas anderes, das meine Energie mit unglaublicher Geschwindigkeit aus mir heraussaugte, ohne dass ich es aufhalten konnte.
Ich brach neben Finjai zusammen.
 
Ich schlug die Augen auf. Neben mir lagen Viveca und Finjai, beide bewusstlos, das Gras um mich herum war verdorrt. Hier und da entdeckte ich ein bewusstloses Insekt, eine friedlich daliegende Maus.
Was ist passiert? fragte ich Atlantia.
Du hast viel mehr Energie verbraucht, als sie alle hatten. Ich habe mir genommen, was wir brauchten. Vielleicht war es der beste Weg, besser als sie auf deine Weise zu töten.
Meine Weise? MEINE WEISE? Du hast mir gesagt, was ich machen soll. Was ist passiert?
Sieh dich um!
Ich stand auf. Überall lagen ohnmächtige Schüler, Allianz- und Projektmitglieder durcheinander. Nicht alle waren bewusstlos, viele waren gestorben.
Was ist passiert? fragte ich zum dritten Mal.
Du warst nicht stark genug, um sie alle zu töten, wie ich es dir zeigte. Also habe ich deine Energie absorbiert, danach auch die Energie von allen Anderen auf diesem Schlachtfeld.
Endlich konnte ich mir ein Bild des Geschehens machen. Schnell lief ich zu Lady Sylvine und Lady Runaverieill. Für die Ozeanerin konnte ich nichts mehr tun, sie hatten ihr einen Dolch ins Herz gerammt. Ich hockte mich neben sie und schloss ihre Augen, dann blieb ich einige Minuten in stiller Trauer sitzen. Sie war Finjais und meine Lehrerin gewesen. Wenn Atlantia mich nicht ermahnt hätte, den anderen zu helfen, hätte ich noch Stunden dort gesessen. Mit Tränen in den Augen ging ich weiter.
Lady Sylvine lag mit seltsam abstehenden Armen und Beinen auf den Beton und blutete aus einer kleinen Schramme an Hals. Ich legte meine Hand auf ihre Arm und sie zuckte zusammen.
In meinem Kopf gab es nur noch zersplitterte Knochen und Schmerzen. Das wunderte mich. Ich hatte meine Heilfähigkeit bis jetzt nur an Tieren getestet, aber ich hatte nie ihre Schmerzen gespürt. Vorsichtig setzte ich die Knochen wieder zusammen und ließ Energie fließen, um die Heilung zu beschleunigen.
 
Ich heilte die Schüler und Allianzmitglieder. Einigen ging es nicht schlecht, andere waren total erledigt, manche meiner Freunde lebten nicht mehr, aber ich registrierte das alles nur am Rande. Ich half auch den Mitgliedern des Projekts. Die Allianzmitglieder, die wach waren, sahen mich nur kopfschüttelnd an. Sie konnten nicht verstehen, was mich dieses Erlebnis gelehrt hatte. Dieser Krieg war für mich sinnlos geworden, aus mehr als nur einem Grund.
 
Ich wachte auf, nachdem ich mich unterbewusst geheilt hatte. Shirly lief umher und heilte alle. Ich wusste nicht, dass sie Heilerin war und war entsetzt, als ich feststellte, dass sie auch die Projektmitglieder heilte. Was sollte das?
Einige Allianz- und Projektmitglieder standen auf und wollten wieder aufeinander losgehen, als Shirly rief: „Wartet!“
Die aufgebrachten Menschen und Ozeaner achteten nicht auf sie, bis sie plötzlich gegen eine Barriere aus purer Energie liefen.
Irgendwie entstand ein geistiger Kontakt zwischen uns allen. Allen Allianzmitgliedern, allen Projektmitgliedern, und einer unglaublichen Macht.
Wartet! Der Befehl ging von ihr aus, wie ein Donnergrollen, wie die Ankündigung eines schweren Gewitters, nach wochenlanger, drückender Hitze.
Hört zu! Doch das war nicht diese Macht, das war…
Shirly?
 
Ich werde euch eine Geschichte erzählen, die sich vor sehr langer Zeit zutrug, vor 800 Jahren, aber jedes Wort davon ist wahr. Jedes Wort.
 
Damals gab es weder das Projekt Zahnwal noch die Delfinallianz, aber es gab Menschen, die die Ozeaner kannten, und umgekehrt.
Die Priesterschaft von Atlantis. Sie wurde von zwei Ozeanern und zwei Menschen geführt, den Hohepriestern, die sich aber auf den Rat der Hüterin verließen, denn diese trug Atlantia in sich. Atlantia war uralt und weise, sie wählte sich ihre Hüter selbst aus. Die Menschen wussten nichts von der Existenz der Ozeaner und umgekehrt, alles war in Ordnung. Doch es gab eine Gruppe, die wollte, dass Menschen und Ozeaner zusammenarbeiteten. Sie nannten sich Delfine und fanden mit der Zeit immer mehr Zulauf. Sechs von ihnen waren der so genannte oberste Rat, die Anführer der Delfine. Irgendwann hatten sie genug Macht, um die ganze Priesterschaft zu zerstören, aber der jungen Hüterin Sesa gelang es noch, Atlantia zu verstecken, bevor man sie umbrachte.
Wer der Priesterschaft loyal blieb, trat nun dem Projekt Zahnwal bei, aus den Delfinen wurde die Delfinallianz. Letztere haben ihr Ziel nie geändert, sie wollen bis heute ein Zusammenleben der beiden Völker ermöglichen, doch das Projekt hat sich aus Frustration neue Ziele gesetzt: Die vier Hohepriester von einst sind heute die Vier Könige und trachten nach der Herrschaft über die Welt.
 
Versteht ihr, an den jeweils anderen ist nichts schlechtes, ihr habt einmal alle zusammengehört, nur haben sich die Ziele im laufe der Zeit geändert. Warum führt ihr Krieg gegen euch selbst? Vereint euch, oder ihr werdet niemals etwas erreichen!
 
Ich bemerke erst, dass ich die Augen geschlossen habe, als ich sie wieder aufreiße und gerade noch sehe, wie Shirly sich verändert. Sie wird irgendwie flüssig und verformt sich, bis sie aussieht, wie ein Schneckenhaus von der Größe eines Babykopfes.
Als sie dann auch noch anfängt, golden zu glitzern, bleibt mir der erschrockene Schrei im Hals stecken.
Ich blicke mich verdutzt um und hoffe, dass mir irgendjemand das erklären kann, aber es geht allen wie mir. Niemand versteht, was hier los ist. Lady Sylvine nicht, kein normales Mitglieder der Allianz, niemand von Projekt, und erst Recht keiner der normalen Schüler. Wie gesagt, niemand!
 
Ihr braucht nur Frieden zu schließen, der Rest wird sich dann von alleine regeln.
 
Sagte diese Macht, aber jetzt ist ein Hauch von Shirlys Geist bei ihr, mit ihr verbunden.
Auf einmal verstehe ich es, auch wenn es unglaublich klingt, es ist die einzige Erklärung dafür: Atlantia ist kein eigenständiges Wesen, irgendwann geboren oder erschaffen worden, sie ist die Vereinigung all ihrer Hüterinnen.
 
Du hast es verstanden. In den 800 Jahren sind wir noch stärker zusammengewachsen, als wir es vorher waren und es wird eine Weile dauern, bis Shirly ebenso ein Teil von uns, von Atlantia ist, aber jetzt sind wir stark genug.
 
Atlantia hatte alle anderen ausgesperrt und sprach nur mit mir.
Wofür seid ihr stark genug, und wie viele seid ihr eigentlich? fragte ich.
 
Wir sind 775 Hüterinnen und die Erste, insgesamt also 776 Mädchen. Eigentlich sollte Sesa die vorletzte sein, aber sie musste uns verstecken, ohne sich uns anzuschließen, und Shirly hatte von sich aus mehr Macht als eine normale Hüterin, wir wissen nicht wieso. Aber jetzt sind wir auch ohne die Zahl 777, Atlantias Zahl, stark genug, dass wir keine Hüterin mehr brauchen. Wir können uns, wenn wir es wollen, einen eigenen Körper erschaffen. Erzähl das weiter, aber sorge vor allem für Frieden. Wir wissen, dass du es kannst. Wir brauchen Frieden!
 
Das goldene Schneckehaus verändert seine Gestalt erneut. Es ist jetzt ein Mädchen, zusammengesetzt aus vielen Mädchen. Ich kann sogar Shirlys Augen erkennen der Rest ist mir fremd. Außerdem scheint der Körper nicht wirklich fest zu sein, wie eine Art Geist, fast durchscheinend. Atlantia sieht mich mit Shirlys Augen an, dreht sich um und läuft dann leichtfüßig, beinahe tanzend zum Meer.
Alle Menschen auf dem Schulhof, egal zu wem sie gehörten, folgen ihr wie hypnotisiert.
Am Strand dreht Atlantia sich noch einmal um. Sie scheint jeden von uns anzusehen.
 
Versprecht mir, Frieden zu halten. Immer und mit allen!
 
Ohne unterzugehen, ohne auch nur einen Tropfen aufzuwirbeln, springt Atlantia über die Wasseroberfläche, bis sie nicht mehr zu sehen ist.
Aber sobald die Macht Atlantias nicht mehr nachwirkt, teilen wir uns in drei Gruppen: Allianz, Projekt und Normale.
Nein! Alles in mir sträubt sich gegen die Erkenntnis, dass das hier kein Frieden ist. Doch mir ist klar, was ich tun muss, auch wenn es schwer ist.
Langsam verlasse ich die Reihen der Allianz und sehe, dass Lea versteht, was ich meine. Wir trafen uns in der Mitte, zwischen unseren beiden Gruppen. Finntu folgt mir ängstlich, eine Ozeanerin bleibt an Leas Seite.
„Freunde?“, fragt ich Lea.
„Für immer!“, sagt sie und wir fallen uns in die Arme.
„Ich bin Finntu“, stellt Finntu sich vor, die andere Ozeanerin sagt:
„Ich heiße Kim“
Wir nehmen uns alle Vier an den Händen. Lea ist meine beste Freundin, auch wenn wir das eine Zeit lang verdrängt haben. Und wenn Lea Kim vertraut, tue ich es auch.
Langsam gesellen sich auch andere zu uns, bis wir alle zusammen stehen und eine Macht uns alle verbindet, doch dieses Mal ist es nicht Atlantia, es ist ein erstes, dünnes Band des Vertrauens, das nach so langer Feindschaft irgendwie zwischen uns geknüpft wurde. Irgendwie.


Epilog
 
 
Viele Jahre später waren Ozeaner und Menschen zu einer festen Gemeinschaft zusammengewachsen und arbeiteten perfekt zusammen. Die Technologie entwickelte sich schnell, schnell genug, um sie alle zu retten, denn die Sonne stand kurz vor ihrem Tod. Gemeinsam waren Ozeaner und Menschen in der Lage, auf einen anderen Planeten zu flüchten. Allerdings wurden sie sich nie über das Ziel einig, denn es gab zwei bewohnbare Planeten. Auf beiden gab es Wasser- und Landmassen, allerdings bestand die Oberfläche des einen Planeten zu 72 Prozent aus Wasser, die des anderen zu 84 Prozent, genau wie auf Terra, dem Planeten, den Menschen und Ozeaner gemeinsam bewohnt hatten. Die Menschen wollten unbedingt auf den trockeneren Planeten, den sie Erde nannten, die Ozeaner wollten nach Ora, deren Sonne rot schien. Also teilten sich die Völker auf zwei Planeten auf. Mit der Zeit vergaßen die Menschen, dass sie einmal auf einem anderen Planeten gelebt hatten, zusammen mit einer anderen Rasse, sie vergaßen, dass sie auf Ora Freunde hatten. Sie vergaßen, dass es Ora gab. Alleine auf ihrem Planeten entwickelten sie sich rückwärts und ohne Atlantia, die auf Terra geblieben war, um ihrer Heimat bis zur letzten Sekunde beizustehen, führten sie wieder Krieg.
Dann begannen die Menschen sich wieder weiterzuentwickeln, bis sie eines Tages wieder fast soweit waren, wie vor dem Bündnis mit den Ozeanern. Sie hatten auch Ora wiederentdeckt, die sie jetzt aber Gliese 581 c nannten. Sie haben die Erde zerstört, auch wenn sie sich vielleicht rechzeitig nach Ora retten können, wo die Ozeaner sie vielleicht wieder aufnehmen.
 
Aber eines ist ihnen geblieben, eine Erinnerung an ihre Vergangenheit, auch wenn sie nicht mehr als ein Mythos ist: Geschichten über die versunkene Stadt Atlantis.
 
Atlantia

Die hier veröffentlichten Geschichten stammen von mir und dürfen nicht weiterverwendet werden!

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