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Meine Geschichten - Diebe


Hallo Leser!

Hier kommt eigentlich nur ein kleiner Einstieg in eine Geschichte, die ich mit einer guten Freundin zusammen schreibe...
Küsschen an LLL,

Viel Spaß
Rosalie


Taschendiebe

 

Elegant sprang Jally von einem Dach auf das nächste, ohne auch nur das leiseste Geräusch von sich zu geben. Sie wurde nie gehört, immerhin war sie die Königin der Diebe.

Auf dem rot gedeckten Dach öffnete sie im ersten Licht der Morgendämmerung eine versteckte Falltür und blickte sich verstohlen um, bevor sie in ihre Wohnung schlüpfte. Seitdem das Königreich Farila Krieg mit den Wassermenschen führte, standen in der Hauptstadt, Gerin, viele Häuser leer. Sollten die Besitzer jemals zurückkehren, dann würden sie bemerken, dass der Krieg für die Diebesgilde von Vorteil war – egal wie er ausging.

Katzengleich landete Jally auf allen vieren in ihrem Wohnzimmer und zog an einem Seil, das die Dachluke schloss, bevor sie ihr Bündel mit der Ausbeute der Nacht in einen als Wand getarnten Schrank legte. Dann öffnete sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer, und ihr Dolch flog fast von allein in ihre Hand.

Ein Mann von etwas 20 Jahren stand im Zimmer – seine ausgebreiteten, schwarzen Fledermausschwingen wiesen ihn sofort als einen Angehörigen des fliegenden Volkes aus.

„Ah, Lady Jally, ich habe gehofft, dass Ihr hierherkommen würdet“, sagte er ruhig, mit einer rauen Stimme, wie sie nur das fliegende Volk hat.

„Wow Damian, wie bist du nur darauf gekommen, dass ich in meiner Wohnung auftauche könnte?“, erkundigte sich Jally mit ihrer Sopranstimme, die noch spöttischer klang, als sie es ohnehin immer tat.

„Na gut, das war dumm von mir.“, gab er lachend zu, „Was hat meine wunderschöne Königin denn heute wieder stibitzt?“

 Jally kam grinsend auf ihn zu und küsste ihn zärtlich. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte und gemeinsam gingen sie auf den versteckten Schrank zu. Als Jally ihm ihre Beute zeigte hielt sie bei einem schwarzen Stein inne. Sie betrachtete es eine Weile und meinte dann:

„Ich weiß einfach nicht warum ich diesen Stein habe mitgehen lassen. Ich meine, sieh ihn dir mal genau an, seine Oberfläche ist durchzogen mit feinen lilafarbenen Adern und…ach ich weiß nicht er zieht mich irgendwie magisch an. Ich denke, ich werde ihn behalten. Was meinst du Dam?“

Damian zögerte:

„So eine Art von Stein habe ich schon mal irgendwo gesehen… In der großen Bibliothek von Amiréne, da gab es ein Buch auf dessen Rücken so ein Stein abgebildet war. Behalte ihn bis ich weiß was das für ein Stein ist. Ich werde dieses Buch finden, in Ordnung?“

„Beeil dich aber, im Mai findet das große Treffen der Diebesgilde statt, da brauche ich jede Hand, um die Sicherheit zu gewährleisten…

Wie ist es eigentlich in Erudan gelaufen?“

„Also bitte, diplomatische Beziehungen zuwischen dem Luftvolk und euch sind Staatsgeheimnisse, Kätzchen. Was glaubst du, was die Beamten aus Farila mit mir anstellen würden, wenn sie Wind davon bekämen, dass ich mich auch mit der Diebesgilde unterhalte?“

„Dafür habe ich eine Erklärung: Du kannst ja der Form halber mit dem König reden, aber als Diplomat solltest du dich auch mit den Machthabern eines Staats unterhalten!“ Er lächelte und schaute zum Fenster raus.

„Heute Nacht wird ein gewaltiger Sturm ausbrechen, das rieche ich in der Luft. Ich glaube kaum dass ich in der Lage sein werde, mich da durch zu kämpfen…“

„Und wenn du jetzt los fliegst?“, fragte Jally.

„So schnell werde ich nicht daheim sein. Er würde mich wahrscheinlich über dem Wald erwischen und mich hinunter schleudern. Von meiner Flügelmembran wäre nichts mehr übrig.“

„Ich fürchte, dann musst du wohl oder übel noch hierbleiben. Ich muss jetzt erst ein bisschen schlafen… Du bringst immer meinen Nachtablauf durcheinander. Es ist fast schon hell! In ein paar Stunden zeige ich dir dann ein schönes Plätzchen, dass deine Diplomaten bestimmt nicht mit dir besichtigt haben.“

„Na dann schlaft schön, Majestät, ich sehe mich schon einmal um, ob ich in Gerin  irgendwo etwas zu essen bekomme.“

„Versuch es mal im Saphirstübchen, die haben unglaublich guten Fisch…“, schlug Jally gähnend vor, während sie ihre weichen Stiefel auszog und sich aufs Bett setzte.

„Geh’ bitte durch den Garten raus, du weißt ja, dass ich ungern gestört werde“ – sie zog zwei Langmesser, eine Garotte, einen Dolch und einen Satz Wurfsterne aus den Verstecken in ihrer Kleidung – „Du gehst in Richtung Rathaus, bis du am weißen Tempel bist, zwei Straßen weiter biegst du erst links ab und dann rechts in eine kleine Seitenstraße, ist kaum zu verfehlen“ – behutsam platzierte sie ihren Degen in der Ecke – „Sag einfach, dass du zu Lia gehörst!“

Jally lag schon im Bett als Damian murmelte: „Wie viele Namen hast du dir zugelegt?“

Ihre Augen waren geschlossen, doch die Hand ruhte auf dem Griff des bernsteinbesetzten Dolches, während sie „Nur vier, wenn du „Jally“ nicht mitzählst“ flüsterte.

„So so…“, erwiderte Damian leise, strich sanft über das Gesicht der Schlafenden und Küsste sie sanft auf die Stirn, bevor er die Wohnung durch die Hintertür verließ.

 

 

 

Eine kleine Hand zuckte hervor, griff sich einen Apfel, wurde zurückgezogen und der Apfel verschwand zusammen mit der Hand uns ihrem Besitzer im Gedränge auf dem Marktplatz vor dem weißen Tempel. Sie gehörte zu einem achtjährigen Jungen namens Ninn. Seit sechs Jahren lebte er auf den Straßen Gerins vom Betteln. Aber seit vor drei Jahren der Krieg ausgebrochen war, hatten die meisten Leute selber zu wenig Geld und gaben nichts mehr weg, so dass Ninn dazu übergegangen war, sich und seine kleine Schwester Fiona von gestohlenem Essen zu ernähren. Sie wartete schon in der Menschenmenge auf ihn, um den Apfel in ihr Versteck zu bringen.

Ninn ging weiter und bemerkte einen Mann des fliegenden Volkes. Der fünfzackige Stern auf seiner Jacke wies ihn als Diplomaten aus, und die hatten immer mehr Geld bei sich, als sie brauchten. So unauffällig wie möglich nährte er sich dem Mann, bis seine Hand ihren Weg in seine Tasche fand.

Dann ging alles ganz schnell und das nächste, was Ninn bemerkte war das splittern seines Handgelenks in der Hand des Diplomaten.

„Weißt du Kleiner, ich habe nicht vor, mich beklauen zu lassen!“, fauchte die raue Stimme des Mannes, der seine Flügel drohend ausgebreitet hatte.

Ninn schrie auf und Tränen schossen in seine Augen. Er starrte den Diplomaten entgeistert an und versuchte sich aus dem Griff des Mannes zu entziehen. Fiona rannte zu ihrem Bruder und fuhr den Diplomaten wutentbrannt an:

„Wieso haben Sie das getan?! Sehen Sie uns an, wie sollen wir uns einen Arzt leisten? Mein Bruder wird seine Hand nie mehr benutzen können! Wir wollen doch nur überleben…“

Der Diplomat packte Fiona am Kragen und zog die beiden Kinder in eine leere Seitenstraße, die Menschenmenge ließ ihn gewähren, denn in Kriegszeiten sprang man mit Dieben noch härter um, als sonst. Ob der Mann die Kinder aus Rache selbst bestrafte, oder sie dem Ordnungsdienst übergab, war egal. Vermutlich war es für diese Kinder sogar besser, wenn sie nicht zum Ordnungsdienst mussten…

 

Der Diplomat schrieb einen kurzen Brief, den er Fiona in die Hand drückte.

„Diesen Brief bringt ihr zu einer Freundin von mir, Kinder. Geht in Richtung Stadtrand, bis ihr an der Statue von König Rhejan vorbeikommt. Dort biegt ihr rechts ab bis ihr zu einem kleinen, weißen Haus mit einer roten Tür kommt. Dahinter ist ein links kleiner Schleichweg, dem ihr bis zu einem Garten mit mehreren Kirschbäumen kommt. Die Hintertür des Hauses in dem Garten ist immer auf. Gebt ihr den Brief, wenn ihr Glück habt, dann kümmert sie sich um deine Hand, Kleiner“, erklärte er und fügte grinsend hinzu,

„Wenn ihr Kirschen klaut, dann hilft sie euch bestimmt nicht!“

Damit drehte er sich um und ging zurück auf den Marktplatz.

 

Fiona schaute ihm verblüfft hinterher, bis Ninn sie anstieß und mühsam zwischen den Zähnen hervorpresste:

„Lass uns verschwinden, Nony, der will uns bestimmt nur ärgern und seine Freundin bringt uns dann in den Kerker!“

„Und wenn er die Wahrheit sagt? Wenn wir verschwinden, dann kannst du deine Hand vergessen! Lass es uns doch versuchen. Bitte, Ninn!“

„Und wenn sie uns doch in dem Ordnungsdienst ausliefert? Was machen wir dann?“

„Und was machst du mit einer verkrüppelten Hand? Verhungern? Nein Danke, dann gehe ich eben allein!“, rief Fiona und ging schlich auf den Marktplatz und machte sich auf den Weg, den der Diplomat beschrieben hatte.

„Nony! Nony, warte!“, rief Ninn seiner Schwester nach, bevor er ihr hinterher strauchelte. Sie blieb kurz stehen, bis er sie eingeholt hatte, dann liefen sie gemeinsam zur Statue des ehemaligen Königs von Falia, Rhejan, vorbeikamen.

Die schwarze, fein bearbeitete Skulptur zeigte den König als zwanzigjährigen, stolzen Reiter mit erhobenem Schwert.

Ninn und Fiona folgten einem der vielen Schleichwege in Gerin, nur dass dieser viel besser gehütet und versteckt war, als die meisten anderen.

 

Dann kamen sie in den kleinen Garten, den der Diplomat beschrieben hatte. Er war unglaublich. Zwölf kerzengerade Kirschbäume säumten den weißen Kiesweg zu einer kleinen, weißen Hintertür. Im saftigen, grünen Rasen waren links und rechts des Weges jeweils drei quadratische Blumenbeete eingelassen, von denen ein seltsam betörender Duft zu den Kindern strömte. Weder Ninn noch Fiona hatten jemals derartige Blumen gesehen.

Vorsichtig schlichen sie zur Tür, wo Fiona erst tief durchatmete und dann so laut wie möglich klopfte. Als sich nichts rührte drückte Ninn langsam die Klinke herunter und öffnete die Tür, die, wie der Diplomat gesagt hatte, nicht verschlossen war.

Er schluckte schwer, bevor er die kleine Küche betrat, zu der die kirschrote Tür führte. Fiona folgte ihm leise.

„Hallo?“, flüsterte Ninn heiser, da ihm seine Stimme nicht so gehorchte, wie er es gerne hätte.

„Hallo-o!“, rief Fiona so laut, dass es im ganzen Haus zu hören sein musste.

Plötzlich folg ein Wirbelsturm aus rotbraunem Haar und grüner Kleidung durch die Küche und bevor die Geschwister reagieren - oder auch nur blinzeln -  konnten, wurden sie jeweils mit einem Langmesser an der Kehle gegen die cremefarbene Küchenwand gerückt. Jadegrüne Augen funkelten die beiden wütende an, bevor die junge Frau fauchte:

„Was wollt ihr hier?!?“

Ninn hatte sofort den Verdacht, dass zu ihren Vorfahren nicht nur Menschen gehörten, während Fiona stotterte:

„Ein… ein Diplomat… hat… und hier… hierher geschickt… Wir… wir… wir…“

„Was denn jetzt?“, fauchte die Besitzerin der unnatürlich grünen, wütend glitzernden Augen, sie sich langsam blutrot färbten. Unter ihren Vorfahren befanden sich mit Sicherheit wesen, die keine Menschen waren!

Unter ihrem durchdringenden Blick musste Fiona schwer schlucken. Die kleine Bewegung reichte und die Klinge des Messers, das an ihrer Kehle lag, schnitt in die sonnengebräunte Haut des Mädchens. Ein dünnes Rinnsal ihres eigenen Blutes rann über Fionas Hals.

„Wir haben einen… eine Brief für Euch bekommen, Mylady“, erklärte Ninn stockend. Seine Augen folgten dem Blut, das Fionas Kragen erreicht hatte und die zerschlissenen Fasern ihres Kleides benetzte.

„Gib ihn mir!“

Fiona hielt der Frau mit einer zitternden Hand den Brief entgegen.

Eines der Langmesser landete auf der Arbeitsfläche neben der Feuerstelle, das andere blieb im festen Griff der Frau, die den Brief entgegennahm und las:

 

Hallo Liebes! 

Die beiden Welpen, die ich dir schicke haben versucht, mich zu bestehlen. Dafür, dass sie nicht ausgebildet sind, ist zumindest der Junge sehr geschickt. Vielleicht kannst du dich um seine gebrochene Hand kümmern und jemanden finden, der die beiden unterrichtet.

 

Dein Damian

 

 

„Sososo…“, meinte die Rothaarige und während sie sich wieder beruhigte, wechselte auch ihre Sopranstimme wieder vom wütenden Fauchen in den trillernden, spöttischen und fast singenden Tonfall.

„Ihr Beide gehört also zu diesem Gezücht, dass ohne die Erlaubnis der Gilde klaut… Ein Glück, dass Damian euch erwischt hat und behauptet, ihr hättet Talent. Jeder vernünftige Dieb hätte euch zur Strafe aufgehängt.

Ich bin übrigens Jally, die Königin der Diebesgilde. Und ihr seid…?“

„Ich bin Fiona, Lady Jally“, flüsterte das Mädchen.

„Und ich bin Ninn“, zischte er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, denn es war schon nicht mehr genug Adrenalin in seinem Blut, um die stechenden Schmerzen in seiner Hand zu betäuben.

„Setzt euch da drüben hin“, befahl Jally den Kindern, „und fasst nichts an, ich hole nur ein paar Sachen für deine Hand.“

Fiona nahm die unversehrte Hand von ihrem Bruder und zog ihn zu den Stühlen an einen Tisch der im Zentrum des Raumes stand. Ninns Schmerzen wurden immer unerträglicher sodass er in die Flammen der Feuerstelle schaute und seine Zähne fest zusammen biss. Jally kam mit einem kleinen Topf und einer weißen Binde zurück. Sie musterte den Jungen, er bekam  inzwischen ein rotes Gesicht und hatte seine gesunde Hand in den Stuhl gekrallt. Seine Schwester beobachtete ehrfürchtig wie die Königin zu ihrem Bruder schritt und wortlos eine lilafarbene Salbe aus dem Topf nahm, sie behutsam auf dem angeschwollenen Handgelenk verteilte und die Binde darum wickelte.

Obwohl Jally vorsichtig war, zuckte Ninn bei jeder Berührung zusammen.

„Sei froh, dass ich dir die Knochen nicht richten muss, Welpe!“, bemerkte sie abfällig, „dann würdest du wahrscheinlich schreien…“

„Und was soll jetzt mit uns passieren, Mylady?“, erkundigte Fiona sich leise.

Jally sah kurz in die graublauen Augen des Mädchens, bevor sie die Binde schloss und wieder aufstand.

„Bis du beidhändig, Welpe?“, fragte sie Ninn, ohne auf Fiona einzugehen.

„Nein, Lady Jally, ich benutze nur meine Rechte“

„Und ich bin Linkshänderin, aber ich komme auch mit rechts klar…“, warf die Sechsjährige nicht ohne Stolz ein.

„Um deine Frage zu beantworten, Kleines, finde ich Damians Idee nicht schlecht, also werde ich euch beide prüfen und wenn ihr Talent habt, was er ja behautet, dann werdet ihr von der Gilde ausgebildet, wenn nicht…“

Sie ließ den Satz unvollendet, ohne dass die Drohung ihrer Worte die glockenhelle Stimme mit derselben Gewalt verfärbten, die in ihnen lag.
Fiona lief ein Schauer über den Rücken, wärend Jally die Küche durch die kunstvoll geschnitzte Tür verließ, die vom Garten weg führte.

Die Geschwister tauschten einen flüchtigen Blick und nach wenigen Herzschlägen stand die Königin der Diebesgilde auch schon wieder im Türrahmen und warf Fiona zwei Äpfel zu. Fiona fing mit jeder Hand einen und ihr Blick folgte Jally, die mit einem katzenhaften, geschmeidigen Gang zur kirschroten Tür schritt und diese mit einem silbernen Schlüssel verschloss. Sie stand wieder an der geschnitzten Tür, ohne dass Fionas Augen ihr auf dem Weg durch die Küche folgen konnten und warf Ninn, der sich halb erhoben hatte einen strengen Blich zu, sodass der Junge sich wieder auf den Stuhl zurückfallen ließ.

„Ich schließe euch ein, damit ihr mir nicht heimlich verschwindet, oder auf die dumme Idee kommt, einen Versuch zu starten, der etwas mit dem Durchschneiden meiner Kehle zu tun hat“, sie bedachte Ninn erneut mit einem furchteinflößenden Blick und schien direkt auf seine Gedanken zu antworten, „Mach dir keine Hoffnungen, Welpe, ich weiß, wie man Schlösser knackt, deswegen sind die Vorrichtungen an meinen Türen auch etwas komplizierter, als ein durchschnittliches Schloss… Nichts, was Kinderhändchen öffnen könnten – schon gar nicht einhändig! Ich wäre euch aber sehr verbunden, wenn ihr nicht versuchen würdet, meine Küche auseinanderzunehmen. So, und jetzt erzählt euch meinetwegen Geschichten, oder tut, was immer Kinder in eurem Alter eben tun, ich gehe ins Bett, immerhin war ich die ganze Nacht auf den Beinen!“

Damit zog sie die Tür hinter sich zu und die Geschwister hörten noch, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. 

„Welpe!“, meinte Ninn nach einem Augenblick und sah seine Schwester aufgebracht an, „Wieso Welpe? Ich habe doch einen Namen! Welpe… Pah…“

„Besser du heißt Welpe als Kleines!“, beschwerte Fiona sich, „Und hör auf, deine Wut an mir auszulassen, Ninn, ich war nicht diejenige, die dich so getauft hat!“

 

Amüsiert verließ Jally die streitenden Geschwister. Was hatte Ninn nur gegen seinen Spitznamen? Dass seine Schwester nicht Kleines heißen wollte, konnte sie ja noch verstehen, aber Welpe war nun bei weitem nicht die schlimmste Alternative…

 

 

 

„Das muss ein  besonders Talent von ihr sein“, murmelte Damian und lächelte abwesend, bei dem Gedanken an Jallys unzählige, andere Talente, denn dieses ließ sich nicht sonderlich gut mit den anderen vereinbaren.

Er saß im Saphirstübchen, dem Gasthaus, das die Königin der Diebesgilde ihm empfohlen hatte. Es war ein heruntergekommenes, zugiges Häuschen mit vielen lauten Gästen – zu viele Gäste, als dass die drei jungen Kellnerinnen sie alle rechzeitig bedienen konnten. Und diese Kellnerinnen selbst waren nach Damians Geschmack eindeutig zu sehr daran interessiert, sich auf den Gästezimmern noch ein Trinkgeld zu verdienen…

Der stämmige Wirt war sehr unfreundlich, bis Damian den Namen Lia fallen ließ, woraufhin der sein Essen fast umsonst und bekam und die wahrscheinlich jüngste der drei Kellnerinnen sich nur noch um ihn kümmern durfte. Das Bier war schal und das Geschirr nicht gerade sauber, aber Jallys Hinweis erwies sich wie üblich als richtig. Der Fisch, der im Saphirstübchen serviert wurde, war der Beste, den man bekommen konnte, wenn man keine Verbindungen zum schwimmenden Volk hatte.

Vielleicht war das Talent, mit traumwandlerischer Sicherheit eine Perle im Schlamm zu finden doch nicht so schlecht mit Jally in Einklang zu bringen, immerhin fand sie verborgene Talente ihrer Schüler genauso sicher wie das teuerste Schmuckstück in einem überfüllten Ballsaal.

Die Stimme der kleinen, blonden Kellnerin riss ihn in die Gegenwart zurück.

„Wenn Ihr mit Lia befreundet seid, könnt ihr das hier für sie mitnehmen… Und es geheim halten?“, fragte sie so leise, dass Damian Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen und zeigte ihm einen versiegelten Umschlag.

„Das könnte ich natürlich tun…“, antwortete er vage.

„Wie viel wollt Ihr?“, erkundigte sich die blonde genervt.

„Oh, ich brauche kein GELD, aber ich suche jemanden, der einen äußerst gefährlichen Auftrag erlegen kann… einen sehr geheimen Auftrag – der natürlich auch entsprechend bezählt werden würde. Ihr kennt nicht zufällig jemanden, der vertrauenswürdig und, nun ja, qualifiziert ist?“

„Das kommt darauf an… Inwiefern soll derjenige denn qualifiziert sein?“

„Er muss sich überall anpassen können, er müsste als Bettler oder als Prinz natürlich wirken, was voraussetzt, dass er lesen und kämpfen kann, ein passabler Reiter ist, aber nicht zu verwöhnt. Und er muss belastbar sein, körperlich und seelisch. Und er müsste viel lernen, dass er niemandem erzählen darf“, erklärte Damian und fragte sich, ob er nicht zu viel verraten hatte. Die Aufträge für seine Regierung sollten nicht demnächst Gerüchte in Gerin sein…

„Ich glaube, ich kenne jemanden, der auf diese Beschreibung passt, zum einen natürlich Lia, aber ich kenne noch jemanden, der dir weiterhelfen könnte – vorausgesetzt, du kannst mit den Sphinxen zusammenarbeiten. Ich könnte ein Treffen arrangieren. Komm in einer Woche wieder, dann werde ich ihn benachrichtigt haben. Wenn du Lias Antwort dabei hast, dann werde ich euch miteinander bekannt machen. Einverstanden?“

„Einverstanden!“, bestätigte Damian, nahm den Umschlag, legte das Geld auf den Tisch – einschließlich eines beeindruckenden Trinkgeldes für die blonde Kellnerin – und verließ das Saphirstübchen um sich wieder zu Jallys Haus zu machen.

 

Dieses Mal flog er vom weißen Tempel aus ein Stück, um einmal mehr auf die ständige Präsens seines Volkes in Farila hinzuweisen, doch er landete wieder, bevor er auch nur in die Nähe von Jallys Grundstück gelangte, ging kurz in einen Laden und nahm zwei Umwege, um niemanden zur Königin der Diebesgilde zu führen.

Dann erreichte er endlich den kleinen Garten und wartete eine Weile in den Zweigen einer Kirsche, von der aus er in Jallys Schlafzimmer sehen konnte. Auch die mächtigste Frau in Gerin – wahrscheinlich die mächtigste Person in ganz Farila – war ab und zu im Land der Träume gefangen und genauso wehrlos wie ein schlafendes Baby. Nun ja, Jally war nie wirklich wehrlos, denn sie hatte ein unglaubliches Gehör, dass sie beim kleinsten Geräusch aus dem Schlaf schrecken ließ und ihre Waffen waren immer griffbereit.

Er sprang von dem Baum und folgte dem Kiesweg zu der Tür und drückte die Klinke herunter. Da Jally die Tür verschlossen hatte holte Damian  mehrere Dietriche aus seiner Tasche  und machte sich daran das raffinierte Schloss zu knacken. Er lächelte zu sich selbst, Jally konnte nie vorsichtig genug sein, aber für einen Diplomaten von seinem Kalieber war es einfach solche Schlösser zu knacken. Vorsichtig schob er den letzten Bolzen zurück und öffnete sie.

Sein Blick wanderte durch die Küche und blieb an einem Schrank hängen. Damian ging hin und nahm sich eine Flasche raus. Gerade wollte er sich wieder umdrehen als jemand auf seinen Rücken sprang und ihm ein Messer an den Hals drückte. Er wirbelte herum und versuchte denjenigen abzuwerfen welcher sich krampfhaft am ihm festhielt und ihm ihn seine Ohren schrie. Auf einmal rief eine ihm bekannte Stimme: „Fiona, hör auf! Das ist der Diplomat!“ Sofort ließ Fiona von ihm ab und rannte zu ihrem Bruder. „T-tut mir leid… ich dachte sie wären ein Dieb…o-oder so was ähnliches“ , stotterte Fiona und schaute betreten zu Boden.

„Wow, Jally hat euch kleine Biester tatsächlich am Leben gelassen!“, keuchte Damian und musste feststellen, dass es nicht sonderlich einfach war, gleichzeitig zu lachen, zu reden und dabei noch schwer zu atmen.

„Aber nur knapp. Dafür hat sie sich auch um meine Hand gekümmert. Und das hat verdammt wehgetan“, beschwerte Ninn sich.

„Aha. Und jetzt sitzt ihr hier auf dem Schrank weil…?“

„Lady Jally uns eingeschlossen hat“, beendete Fiona den Satz.

„Das ist ja mal wieder typisch. Dafür hat sie es verdient, unsanft geweckt zu werden. Obwohl eine zerbrochene Weinflasche ist wohl schon Strafe genug, und wie ich sie kenne, ist sie schon längst aufgewacht“, philosophierte er und wie auf ihr Stichwort drehte sich ein Schlüssel im Schloss und Jally betrat mit sechs Wurfsternen in der rechten und einem siebten in der linken Hand wurfbereit auf Hüfthöhe.

Wie sie es geschafft hatte, so auch noch die Tür aufzuschießen war Damian ein Rätsel, doch als zwei Sternschnuppen auf ihn zukamen und seine Ärmel an den Geschirrschrank nagelten, war es ihm auch relativ egal. Fiona widerfuhr dieselbe Behandlung, während sich Ninn, der immer noch auf dem Schrank saß nur mit zwei noch schlimmer zerrissenen Ärmeln herumschlagen musste, da Jally weder die Wand ruinieren, den Kleinen verletzen oder ihre Sterne kaputt werfen wollte. Das siebte Geschoss streifte seine Wange, ließ eine Haasträne zu Boden fallen und bohrte sich dann in den Schrank.

Für alle sieben Würfe hatte Jally weniger als zwei Herzschläge Zeit benötigt.

„Ich wollte SCHLAFEN!“, fauchte sein die beiden ängstlichen Kinder und den wütenden Damian an.

„Du hättest mich treffen können!“, fauchte er zurück und zerriss seinen rechten Ärmel, befreite dann seinen linken Arm und warf Jally ihre Lieblingswaffen zurück, die sie geschickt aus der Luft angelte ohne sich auch nur einen Kratzer zu holen.

„Was treibst du da oben, Welpe?“, erkundigte sie sich bei Ninn, bevor sie zu Damian sprang und über seine Wange strich.

„Ich habe dich getroffen!“, erklärte sie leicht beleidigt und hielt ihm den blutbeschmierten Finger unter die Nase.

„Oh“, meinte der Diplomat betroffen.

„Nächstes Mal stecken nicht deine Ärmel, sondern deine Flügel am Schrank fest, vielleicht merkst du dann, dass du verloren hast…“, sinnierte sie gespielt nachdenklich und grinste, „Und die Flasche ersetzt du! Die war aus dem Privatkeller des Fürsten von Amiréne… Da muss man erstmal reinkommen!“

„Da ich sowieso nach Amiréne muss, zur Bibliothek und auch meines Berufes wegen, werde ich da schon etwas engagieren können. Seine Tochter Renée ist ganz verrückt nach kleinen Spatzierflügen und so hat mich Terrin eingeladen, jederzeit vorbeizukommen, da sie die Kleine ohne Hilfe des fliegenden Volkes gar nicht zähmen können. Und sie ist erst vier Jahre alt… Ich bin ja schon gespannt, was aus ihr wird, wenn sie erst einmal 24 ist“, er grinste verschlagen. Weder einmal hatte er Jally mit einer seiner kleinen Geschichten beruhigt. Sie lachte schon wieder und er nutzte die Gelegenheit, ihr den Brief der Kellnerin zu zeigen.

„Gib den her!“, forderte sie ihn auf.

„Was bekomme ich denn dafür?“, fragte er.

„Was willst du denn?“

„Ich habe zuerst gefragt. Also was bietest du mir?“

Plötzlich waren ihre Lippen auf seinen und er bekam einen langen Kuss. Er schloss die Augen und öffnete den Mund ein Stückchen, während Jally sich wieder von ihm löste. Enttäuscht öffnete er die Augen wieder und sah sie schon am anderen Ende der Küche stehen. Ninn sah verblüfft zwischen ihnen hin und her, Fiona kicherte.

„Also das ist doch eine gute Verhandlungsbasis. Wie viel bekomme ich denn?“ erkundigte er sich.

Jally grinste ihn frech an und meinte:

„Das war die ganze Bezahlung“

„Also wenn das so ist, behalte ich den Brief doch lieber selbst.“

Fiona brach in schallendes Gelächter aus und auch Jally kicherte jetzt mit. Ninn sah Damian verständnislos an, doch der Diplomat zuckte nur mit den Schultern, da er sich den Grund für die plötzliche Heiterkeit auch nicht erklären konnte.

„Das könnte sich schwierig gestalten“, spottete Jally und hielt den Brief hoch. Damian biss sich auf die Zunge. Er hatte schon wieder nicht bemerkt, wie sie ihn beklaut hatte.

„Okay, du ist doch nicht ganz ungerechtfertigt die Königin der Gilde geworden“, gab er zu.

 

                 Sehr geehrte Lia Mattea,

ich will mit meinem Anliegen sofort zur Sache kommen. Da ich aber der Sicherheit, dass dieser Brief nicht in die falschen Hände gerät, misstraue, gebe ich nur einige Punkte meines Auftrages preis.

Ich biete Euch an, als mein Spion in das ferne Land Gibbon Shift zu reisen und etwas zu erledigen, welches von großer Bedeutung für unser Land sein wird. 

Ich hoffe auf schnellstmögliche Antwort und würde zudem gerne ein Treffen arrangieren, bei welchem alle Details und Belohnung besprochen werden.

 

    Hochachtungsvoll

                          M. Ludillo Polnakk


 „Soso… Der Kriegsminister bietet mir also einen Auslandauftrag an“, meinte sie an Damian gerichtet, „Du kennst ihn besser als ich... Würdest du annehmen?“

„Nur wenn es nicht allzu gefährlich wird, ich will nicht dass dir etwas passiert. Du solltest vielleicht vorher Einzelheiten rausbekommen, bevor du annimmst.“

„Natürlich. Wo hast du den Brief her? Aus dem Saphirstübchen?“

„Ja, von einer kleinen, blonden Kellnerin, die übrigens gleichzeitig ein Treffen zwischen mir und einem Sphinx arrangieren will.“

„Ah, Catalyn, das Engelchen. Sie arbeitet manchmal für die Gilde, aber sie ist viel zu naiv, um tatsächlich bei uns mitzumachen.“

„Na dann. Woher kennt eine Kellnerin und Teilzeit-Diebin Sphinxen?“, erkundigte Damian sich neugierig, er musste schließlich wissen, ob er seiner Vermittlerin trauen konnte.

„Du hast Prostituierte und Wahrsagerin vergessen. Ihr Großvater mütterlicherseits war ein Sphinx und das ist die Seite ihrer Familie, die noch lebt. Der Rest ist im Kriegsdienst gefallen, oder wird es demnächst vermutlich tun.“

„Soso, Wahrsagerin.“

„Sie hat Talent, denn es fließt noch genug Sphinxblut in ihr, um über ein bisschen Magie zu verfügen. Dummerweise verdient sie in einem ihrer anderen Berufe mehr. Und ich rede nicht vom Kellnern.“

„Ich kann mir schon denken in welchem Beruf sie am besten verdient, immerhin weiß ich, wie wenig du den ganzen Handlangern bezahlst, die nicht regelmäßig für dich arbeiten.“

„Und die Meisten betteln trotzdem noch darum, die Drecksarbeit für die Gilde erledigen zu dürfen. Catalyn hätte es nicht nötig, aber ihr macht es einfach Spaß, das Risiko einzugehen als Helferin der Diebe erwischt zu werden. Und übrigens bezahlen die Diebe nicht sonderlich schlecht.“

„Okay, okay, das müssen wir ja wohl kaum von den beiden Kurzen hier ausdiskutieren. Was willst du eigentlich mit ihnen anstellen?“

„Entweder ich schicke sie zu Alekto oder ich stecke sie in unser kleines Trainingsprogramm“

„Nummer zwei klingt doch wunderbar. Dort würden sie eine ausgezeichnete Ausbildung erhalten, genau richtig für zwei anpassungs- und lernfähige  Sprösslinge.“

Ninns Augen weiteten sich, er hätte nie gedacht, dass die Königin der Diebe ihn zu den Trainingsgründen schicken würde. Fiona und ihn, korrigierte er sich schnell. Dort musste er natürlich gut auf seine kleine Schwester aufpassen, denn sie war eben noch klein, und wer wusste schon, was für zwielichtige Schüler sich dort herumtrieben.

Jally nickte nur schrieb schnell ein paar Zeilen für Riak, den Leiter des Camps.

Er hatte einst zu den besten Dieben der Verbündeten Länder gehört, doch inzwischen war er zu alt, um selbst noch „Nach Dingen zu suchen, die rechtmäßig ihm gehörten, auch wenn sich andere Menschen als Besitzer dieser Dinge bezeichneten“. Genau so hatte er es immer ausgedrückt, als Jally bei ihm nach einer moralischen Stütze für ihre Tätigkeit gesucht hatte. Er hatte ihr geholfen, aber er war nicht ihr Lehrer gewesen. Und er war niemals König der Diebesgilde gewesen. Sein Bruder schon. Sein Bruder Tallrik war ein wichtiger König der Gilde gewesen, doch er hatte den Fehler gemacht, seiner Schülerin zu vertrauen. Und dieses Vertrauen hatte Jally gnadenlos ausgenutzt. Sie hatte sich geschworen, zur Königin der Gilde aufzusteigen, noch am selben Tag als sie ihm Alter von fünf Jahren ihre Ausbildung begann. Sie hatte sich geschworen, dass sie niemals ein Opfer sein würde, selbst wenn sie das selbst zur Täterin machte.

Hinter der ganzen Fassade aus Spott und Gleichgültigkeit, aus Lebenslust und auch aus Grausamkeit, hinter alledem verbarg sich eine Angst vor der Welt, die Jally sich nicht einmal selbst eingestehen wollte. Sie würde nie ein Opfer werden, auch nicht das Opfer ihrer eigenen Angst. Also verdrängte sie heute – wie an jedem anderen Tag auch – alle Gedanken an ihren Bruder Leonardo. Gedanken daran, wie er blutend in einer kleinen Hintergasse in Amiréne gelegen hatte…

Energisch schüttelte sie den Kopf und riss ihren Geist in die Gegenwart zurück.

 

Riak, 

Ich schicke dir zwei neue Schüler, die ein Freund von mir als „talentiert“ eingestuft hat. Bilde sie gut aus, denn ich weiß schon, was mit ihnen passieren könnte, wenn sie deine Ausbildung erfolgreich abschließen sollten. 

Jally

 

Schnell ließ Jally den Brief in dem Umschlag verschwinden und verschloss ihn mit einem Wachssiegel. Eilig verließ sie ihr Haus in dem Vertrauen das Damian auf die beiden Kinder aufpassen würde. Sie lief die Straße entlang, die neben dem Sancta Bellora verlief und steuerte auf ein runtergekommenes altes Häuschen zu.

Dort angekommen schob sie den Umschlag unter der Tür durch und machte sich dann, wie üblich auf Umwegen zurück zu ihrem Haus, dass sie durch die Dachluke betrat.

Im Wohnzimmer wartete schon Damian mit den beiden Kindern auf sie.

„Oh je…“, murmelte Jally, „Damian, du hast deine eigene Villa in Gerin also verschwinde zu deinen Diplomaten. Ihr beiden könnt machen, was ihr wollt, aber wenn ihr dabei nicht leise seid werde ich ungemütlich. Ich für meinen Teil werde versuchen, noch ein paar Stündchen Schlaf zu bekommen, bevor die Sonne aufgeht.“

Mit diesen Worten ging sie ins Schlafzimmer, ohne ihre Besucher auch nur eines weitern Blickes zu würdigen.

Kurze Zeit später hörte sie, wie ihre Gartentür geschlossen wurde und jemand dem Kiesweg folgte. In der Küche war es ruhig, sie konnte den Geräuschen lauschen die die beiden Geschwister machten als sie eine kleine Erkundungstour durch den unteren Bereich ihres Hauses machten und zwei Sessel entdeckten, auf welche sie sich mit Vergnügen stürzten.

Der Welpe ließ sich müde in den einen und die Kleine sich in den anderen Sessel sinken. Nur wenige Minuten verstrichen als die Beiden ruhig wurden und einschliefen.

Zufrieden schloss Jally die Augen ruhte sich aus.

 

 

 

Eine schneeweiße Wanderfalkendame kreiste über einem sehr steilen Abschnitt der Küste Falias. Doch sie suchte nichts zu fressen, sondern musterte mit ihren scharfen, goldenen Augen jeden noch so kleinen Fleck des Meeres, der Wellen, die sich wild schäumend gegen die steile Felswand warfen und der Klippe selbst.

Das Wasser war da diesem Tag sehr unruhig und die Falkendame spürte, dass ein schlimmes Unwetter heraufzog, das diese Brandungswellen, in denen Menschen so leicht ertrinken konnten, harmlos aussehen lassen würde. Doch sie hatte einen Auftrag zu erfüllen, deswegen flog sie weiter über der Klippe, bis ihre Augen fanden, was sie schon stundenlang gesucht hatten:

Viele Meter unter ihr kletterte ein Wesen mit dunkelgrüner Haut aus dem Wasser. Es hatte große Ähnlichkeit mit einem Mensch, aber auch ohne die ans Meer angepasste Hautfarbe könnte man deutliche Unterschiede erkennen. Arme und Beine des Wesens waren länger und kräftiger, auch die Schultern waren um einiges breiter und die mit Schwimmhäuten ausgestatteten Hände und Füße wirkten auf Betrachter, die an menschliche Proportionen gewöhnt waren, wirklich riesig. Zudem war das Wesen nur etwas halb so groß, wie ein erwachsener Mensch. Am Gürtel des Wesens hingen viele Taschen, die wie alles, was die Wassermenschen herstellten, natürlich wasserfest waren.

Mühsam machte  sich der Wassermensch an den langen Aufstieg, die Felswand hinauf, für den sein dem Meer angepasster Körperbau alles andere als geeignet war.

Die Falkendame kreiste noch einmal, dann legte sie die Flügel eng an den Körper und ließ sich auf ihr Opfer hinabfallen. Eigentlich musste sie nichts tun, außer mit ihren Flügelspitzen den freien Fall ein wenig zu lenken, die Schwerkraft zog sie ganz von allein nach unten und bevor der Wassermensch bemerkt hatte, was geschah, war sein Schädel gespalten.

Die Falkendame schüttelte sich und zerstob plötzlich in einen Wirbel aus Federn, die leuchteten, bis die Federn nicht mehr zu erkennen waren. Innerhalb eines Herzschlags nahm das Licht die Konturen eines Menschen an und dann stand statt des Vogels eine junge Frau auf dem schmalen Sims, wenige Meter über dem Wasser. Sie hatte langes, blondes Haar, das wirr auf ihrem Rücken hing, und war splitternackt. Mit einer geschickten Bewegung stieß sie die Leiche des Wassermenschen ins Wasser, behielt aber seinen Gürtel in der Hand und durchsuchte ihn ohne das geringste Anzeichen von Hast. Die meisten Gegenstände landeten im Meer, aber einige blieben auf einem kleinen Haufen vor der Frau liegen.

„Das wird Jally sicherlich interessieren“, murmelte sie und steckte sich einen Gegenstand von ihrem Stapel in den Mund, verdrehte die Augen, schluckte und verführ mit den andern Beutestücken genauso.

„Diese Nervensäge ist Schuld daran, dass ich wieder eine Woche Verdauungsstörungen haben werde“, grummelte sie, „Nächstes Mal wird sie mehr für so einen Auftrag bezahlen müssen, Königen hin oder her!“

Dann zerschmolz sie wieder zu einer Lichtkugel, bevor sie sich in Gestalt der Wanderfalkendame in die Luft erhob und ins Landesinnere flog.



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